Himmelsmechanik (German Edition)
lang genug, sodass sie ihm bei der Gelegenheit als Matratze und Decke dienen kann. Er schießt fast nie, aber wenn, dann hört man es im ganzen Tal und auch darüber hinaus, da er Militärpatronen benutzt, die er sich, wie er sagt, im Gebirge besorgt hatte, als er in den Grotten herumstöberte. Es ist gutes Material, das die von der Monterosa zurückgelassen haben, also erstklassiges deutsches Material. Wenn er etwas trifft, dann ist es entweder ein Wildschwein oder Damwild oder ein junger Hirsch. Dann häutet er ihn vor Ort und steigt hinunter, um jemandem Bescheid zu sagen, damit er ihn sich holen geht: Von seiner Jagd nimmt er sich nur das, was ihm seine Gemeindemitglieder schon gekocht bringen. Und auch wenn er so hager ist, ist seine Küche sicherlich der Ort, wo man am besten isst.
Er ist ein kriegerischer Priester, sagte ich, in der tausendjährigen Tradition des Volks von Vagli, das ist der Grund, warum er seinen Beruf mit kämpferischer Wildheit ausübt. Ich glaube, seine Freunde lieben ihn gerade deshalb. Sie lieben Don Gigliante, das ist sein so bezeichnender Name von glückverheißender Reinheit, mit einer Hingabe, dass es, wären es nicht Menschen aus Vagli, servil erscheinen würde. Don Gigliante verfolgt die Sünde mit derselben Beharrlichkeit, mit der er den Spuren der Hirsche folgt, und mit derselben Entschlossenheit ist er bereit, seine deutschen Patronen auf die Sünder zu verschießen. Das geben die Gemeindemitglieder selbst zu, und offenbar sind sie stolz auf die Buße, ein qualvolles Gottesgericht, das er ihnen auferlegt; sie fühlen sich durch diese Strenge privilegiert, unter den seltenen Auserwählten auf einem sicheren Weg, den ewigen und weitaus schlimmeren Strafen der Hölle zu entgehen. Von Natur und Kultur aus sind die Vagli-Bewohner große Sünder, doch aus demselben Grund sind sie auch zur Buße und zur Strafe bereit, wenn es eine gerechte Strafe ist. Und sie wissen genau, dass das, was ihnen Don Gigliante auferlegt, gerecht ist und außerdem heilig. Das wissen sie und ihr Pfarrer, der seit fünfzig Jahren das Geheimnis ihrer Beichte wahrt und jeden Sonntag bei der Predigt diejenigen beim Namen nennt, die nicht bei der Beichte waren, damit sie über ihre Schande Rechenschaft ablegen. Er weiß alles über diese Männer, da besteht kein Zweifel, und nur aus diesem Grund müsste er gebeugt gehen unter der Last, die er trägt. Wenn er nicht noch stärker als ihre Frauen wäre.
Wenn er vorbeikommt und Lust hat, kurz zu verweilen, nimmt er gern etwas von Nitas Traubenkonfitüre, die er mit einer sanften Bewegung wie ein altmodischer Seminarist vom Löffel schlürft. Er redet mit ihr über die Natur der irdischen Dinge und fragt mit behutsamer Höflichkeit nach seinen Gemeindemitgliedern, die in dem Betrieb arbeiten, den sie leitet; wer nicht in den Steinbruch geht und auch keinen Lastwagen nimmt und mit ihm herumfährt, und auch keine Ziegenherde hält und zum Weiden herumzieht, beugt sich der Lohnarbeit. Er fragt, ob sie ihren Verpflichtungen nachkommen und ob sie immer die Besten sind, wie sie sollten. Dann reden sie über die weite Natur, die sich vor ihren Augen ausbreitet, und halten sich mit ausgefeilten Betrachtungen über die Schwierigkeiten auf, die seltener, hochwertiger Anbau nach sich zieht. Das tut Nita, wenn sie nicht ihren Pflichten nachgeht, die Produktion primärer Güter zu kontrollieren: Sie produziert selbst welche. Sie tut das in Mengen, die nicht mehr industriell, selbst für ihr eigenes Überleben nicht ausreichend, jedoch von seltenem Wert sind. Hinter dem Haus hat sie ihren kleinen Obst- und Gemüsegarten, wo antike Samen vergessener Früchte der Erde träge Wurzeln schlagen und bescheiden gedeihen. In ihrem Garten ist sie sicher, eines Tages ihren Gott erkennen und daraufhin seinen geheimen Plan für die Auferstehung des Fleisches entziffern zu können.
Mit Don Gigliante, der noch nie etwas angebaut, aber das Beste vom Essbaren gegessen hat, flüstert sie von großblättrigem Jasmin und Mais und Birnchen und Äpfelchen, und vielleicht auch von Gott und der Auferstehung, so wie sie den Einen in der anderen in der Ungewissheit der kommenden Jahreszeit erahnen können. Sie unterhalten sich mit einer Vertrautheit, die ihren Grund nur in ihrer diskreten geistigen Übereinstimmung hat. Nita ist schließlich immer noch eine Fremde; sie ist es in ihren Gewohnheiten, in ihrer Sprache, in ihrem Glauben; sie ist mindestens fünfzig Jahre jünger als er, und in ihr ist keine
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