Himmelsmechanik (German Edition)
demütigen vor ihren Reden, ihrem Unwissen über die Dinge, wie sie gelaufen sind, über ihren Kern. Dinge von Männern und Frauen, von Jungen und Mädchen, und von Tieren. Wer wirklich etwas von diesem Kern hätte zeigen können, ließ sich bald nicht mehr blicken, wurde krank und verschwand, starb schnell und ohne Aufsehen.
Dabei muss gesagt werden, dass während dieser ganzen Zeit die Menschen lebten und weiterhin Heu machten, Getreide droschen, Kühe molken und Kastanien sammelten und sie rösteten, vorausgesetzt, dass es welche gab und von den Beschlagnahmungen welche übrig blieben. Es muss gesagt werden, dass sie das alles machten bei all den ermordeten Toten ringsum, wobei sie so taten, als sei nichts geschehen, solange es ging. Es muss außerdem gesagt werden, dass in jenem Jahr keine Hochzeiten gefeiert wurden, und zwar nicht, weil sie abgesagt wurden, weil Versprechen gebrochen und Bräute enttäuscht wurden, sondern sie wurden nur verschoben, bis die Männer wieder zurückkamen aus den Bergen oder von der Zwangsarbeit oder aus den Grotten, wo sie sich versteckt hatten.
Aber eine Hochzeit gab es doch, trotz allem. Und es war die des jungen Filippo Nesi, der bis zum Jahr davor in Lucca Medizin studiert hatte, und dort hatte er sich in ein Mädchen verliebt und wollte nichts davon wissen, abzuwarten. Die Hochzeit wurde auf der anderen Seite der Front gefeiert, unter der Rechtsprechung der alliierten Besatzung, nicht einmal eine Woche nach der Befreiung der Stadt, und um heiraten zu gehen, überschritt der junge Nesi mit einem Rucksack voller Tritol die Gotenlinie: Weil er gerade so fröhlich war, wollte er das feiern, indem er direkt an der Straße die Fabrik in die Luft sprengte, die die Deutschen mit Kupferspulen für die Motoren ihrer 88er Kanonen belieferte. »Aus Freude«, das antwortete er, als sie ihn fragten, was er sich dabei gedacht habe, gerade an dem Tag, da er sich für sein ganzes Leben binden wollte.
Jedenfalls muss gesagt werden, dass in jenem Jahr, obwohl es keine Hochzeiten gab, im Revier mehrere Kinder geboren wurden, und die Hebammen wie üblich ihre Arbeit taten. Es muss noch gesagt werden, dass die Deutschen gerade mitten im Sommer böse wurden, als die Truppen abgelöst wurden und die SS der Division Kesselring, die oberste Elite, das Kommando der Front übernahm. Aber ob gutmütig oder böse, die Menschen lebten Tür an Tür mit ihnen, versuchten, ihre Regeln zu akzeptieren, und redeten mit ihnen. Sie versuchten, sie zur Vernunft zu bringen, betrieben Haarspalterei, um das richtige Maß zu finden, sie sich erträglich zu machen. Nur mit den Italienern, seien es SS, Monterosa oder Schwarze Brigaden, sprachen sie nie und versuchten auch nicht, sie sich erträglich zu machen, sondern es muss gesagt werden, dass dies von der Tatsache abhing, dass die von der Republik von Salò dazu ausgebildet waren, alles zu verfluchen, und zwar auf so übertriebene Weise, dass sie bald anfingen, sich selbst zu hassen. Und schon im Winter ’44 begannen die Menschen im Revier, etliche von ihnen zu begraben, die hinterrücks von ihren Anführern erschossen worden waren, als sie zu desertieren versuchten.
In erster Linie versuchten die Menschen also zu leben, vor allem in jenen Monaten; sie versuchten zu essen und zu schlafen, sich vor der Kälte zu schützen und nicht an Krankheiten zu sterben. Es muss gesagt werden, dass es aus diesem Grund in jenen Monaten für niemanden möglich war, sich eine klare Vorstellung von der Realität zu machen, und letztendlich lag auch niemandem daran, eine zu haben: Es waren Zeiten ohne gute Nachrichten, es waren Zeiten, die vorübergehen mussten, indem man sich so weit wie möglich von der harten Wahrheit entfernt hielt.
Wie gesagt wurden Mitte Juni fünf junge Männer und zwei Frauen in Orto di Donna gefunden. Den jungen Männern hatte man in den Rücken geschossen, und die Frauen waren erschossen und dann gepfählt worden. Sie kamen aus Vinca, um sie zu suchen: Die Frauen waren unterwegs gewesen, ihre Jungen zu verstecken, die Schwarzen Brigaden hatten sie am höchsten und ältesten, heiligsten und sichersten Ort des ganzen Tals gefunden. Sie wurden nachts weggebracht, in Decken gehüllt, auf dem Rücken einer Karawane aus Maultieren, die sie über die Straße der TODT nach Hause zurückbrachte, nachdem sie den Deutschen die Erlaubnis abgehandelt hatten, sie in ihrem Dorf begraben zu dürfen. In der Karawane, die in Orto di Donna campierte, waren ein Arzt und ein
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