Himmelsmechanik (German Edition)
Liebe und Müdigkeit. Der Mann aus Moriano war weggegangen, froh darüber, diese beiden so schönen und fröhlichen Mädchen gesehen zu haben, weißen Zwirn und sechs grün-aquamarine Knöpfe an den Maultiertreiber aus Compiana verkauft zu haben, der zum Abendessen gekommen war. Es war bekannt, dass der Maultiertreiber Faschist war, und vielleicht wollte er seine Uniform leicht abändern: Er war geizig und wollte sie nicht wegwerfen. In jener Nacht schliefen die Duse und die Santarellina beieinander; das taten sie oft in der letzten Zeit, denn die Duse hatte schließlich den Deutschen nicht mehr getraut, die schweigsam und regungslos in den Zimmern drüben waren. Sie schliefen beieinander, weil sie sich daran gewöhnt hatten; sie taten es nämlich auch, wenn sie genau gesehen hatten, dass das Motorrad mit Beiwagen und die Maultiere der Deutschen nicht auf dem Hof und im Schuppen standen.
Die Santarellina sagt, die Duse wäre zur Brücke gegangen, auch wenn Generalfeldmarschall Kesselring persönlich kontrolliert hätte, was sie tat, und deshalb hat sie sie mit ihrer Sichel begleitet, weil die Duse nie die Gefahr hatte sehen können. Vom Standpunkt meiner Mutter aus war nämlich die einzige Gefahr, die ihr drohte, die Einsamkeit. Ansonsten sei es nicht so gefährlich gewesen, den Bomben des Storchs auszuweichen und zu vermeiden, während der Ausgangssperre von einem Jugendlichen der Miliz beschossen zu werden; sie war auch nie Gefahr gelaufen zu sterben, wenn sie die Brücke überquerte und die Suppe im Wirtshaus bekam, da die Brücke für die hier und die dort zu wichtig war, um darauf zu schießen, und das Wirtshaus die glückliche Heiligkeit von Wirtshäusern an der Grenzlinie genoss. Die einzige ernsthafte Gefahr, die ihr drohte, wenn sie in einem Haus mitten im Niemandsland blieb, war, dass eines schönen Tages wirklich niemand mehr da war, wie die Duse auch vermutete, dass es eintreten konnte; deshalb hatte sie die Santarellina gebeten, zum Schlafen bei ihr zu bleiben. Und deshalb tat die Santarellina das gern, obwohl es ihr nichts ausmachte, allein zu sein, da sie ja allein geboren und aufgewachsen war. Denn das müssen zwei Freundinnen tun: sich lieb haben und sich in der Angst nie verlassen. Das sagt die Santarellina.
Aber die Duse war auch mutig, und ich bin es, der das hier sagt, ich, der ich gesehen habe, wie sie sich die ganzen Jahre die Stiefel anzog und sich den Rucksack über die Schultern warf, ich, der sie jedes Mal mit festem, sicherem Schritt habe zurückkommen sehen, wie jemand, der jede Straße allein gehen kann: Wenn sie nicht wusste, was Gefahr war, dann weil es für sie nie genügend Gefahr gab, nie, und sie sich ihr ganzes Leben lang an diese persönliche Überzeugung hielt.
Jedenfalls hat mir die Duse nur erzählt, dass sie gegangen ist und dass ihr das Akkordeon an jenem Morgen so schwer wog, als wäre sie wieder ein Kind geworden.
Sie setzten sich auf das Brückengeländer, die Duse das Akkordeon genau auf ihren Schenkeln platziert, die Santarellina den Beutel mit der Sichel auf dem Schoß; keine von beiden war groß genug, um die Füße auf den Boden zu stellen, und sie ließen sie baumeln und leicht an den Stein des Geländers prallen. Das war ihre Gewohnheit, das taten sie immer, wenn sie sich auf die Brücke setzten, um die Leute vorbeigehen zu sehen: Sie ließen ihre Füße baumeln, weil sie glaubten, sie würden so eine Haltung verschlagener junger Frauen annehmen. Wegen der Kälte hatte sich die Duse Wollstrümpfe angezogen, die sie an den Waden kratzten, und außer dass sie die Füße baumeln ließ, rieb sie sich auch noch an den Beinen, um das Jucken etwas zu beruhigen. Auf die Platanen des Wirtshauses hatten sich Stare gesetzt und zirpten wie Liebeszikaden. Und doch schien es, als herrschte Stille, denn, so sagt die Santarellina, wenn die Kanone aufhört, ist jedes Geräusch Stille.
In dieser Stille, als wären sie im Zirpen der Stare herangewachsen, hörten sie die Motoren der Amerikaner. Und soweit man das sagen konnte, waren sie nicht mehr im Leerlauf. Und im Nu bogen sie in die Kurven von Campo ein. Die Duse erzählte mir, dass sie wegen des Juckens der Wollstrümpfe keine Gelegenheit gehabt hatte, genau darüber nachzudenken, was sie mit ihrem Akkordeon tun sollte. Sie hatte es mitgenommen, weil sie wusste, dass sie es spielen würde, aber erst als hinter der letzten Kurve der Staub aufwirbelte, wurde ihr klar, dass sie noch nicht wusste, was sie spielen sollte. Und da
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