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Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Maggiani
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brummen sie, sodass man sie nicht verstehen kann, etwas vom Schaden, den jeder durch die Existenz der Tiere des anderen erlitten hat. In Anbetracht der Tatsache, dass sie nicht einmal wüssten, wie sie sich direkt Schaden zufügen sollten.
    Sie hätten sich vor sechzig Jahren zusammentun sollen, sie sollten es jetzt noch tun, doch wer soll ihnen das sagen? Sie sind die Besten von uns, von den Lebenden unbestreitbar diejenigen, die am vollsten mit liebenswürdigen Legenden sind; es stimmt, der eine läuft halbnackt herum, die andere trägt selbst im Juli eine Windjacke, die nur noch ein Fetzen ist, doch könnten sie sich deshalb nicht lieben? Sich gegenseitig etwas Frische und etwas Wärme geben, wäre es nicht besser, wenn sie versuchten, miteinander zu schlafen? Das ist nicht nur eine intime Sache von ihnen. Sie sind schon so alt, das ihr Leben nicht mehr in ihren Händen liegt: Müssten sie daran leiden, was sie tun, wäre es die Verantwortung aller. Zumindest, wenn man sie nicht in die Hände der Behörden geben will, die an einem bestimmten Punkt des Niedergangs jemanden schicken, der zuerst den einen und dann die andere holt. Ab und zu sprechen wir mit Nita darüber, und es ist die Meinung aller, dass sich beide früher oder später von der Pania hinabstürzen werden. Womit sie wieder einmal getrennt dasselbe tun, dieselben Absichten und dasselbe Herz haben.
    Doch die Meinung meiner Frau lautet, dass sie sich nicht hassen, dass sie sich vielmehr lieben. Sie behauptet, dass sie auch heute noch ineinander verliebt sind, und dass es nicht gesagt ist, dass Liebe etwas mit Liebhaben zu tun hat. Dass sie sich irgendeinen unbedeutenden Grund gesucht haben, um sich auf ewig zu Feinden zu machen. Vielleicht, so behauptet sie mit einer gewissen Kühnheit, ertragen sie es nicht, einander zu lieben, da sie schon einmal jemanden oder etwas anderes zu sehr geliebt haben. Oder weil sie geglaubt haben, es könne keine Liebe mehr zur Verfügung stehen, und nun unerwartet und unangebracht auf sie zu stoßen, machte sie ärgerlich und wütend. Oder einfach, weil sie in der Sache nicht erfahren waren und nicht wussten, wie sie sie nehmen sollten, nahmen sie sie von der falschen Seite. Nicht immer ist Liebe eine gute Nachricht; da hat Nita recht.
    Doch am Sonntag, an dem sie von meiner Geburt erzählte, sagte mir die Duse, dass sie immer eine gute Nachricht ist.
    An jenem Herbstmorgen ’44 also war es so kalt, wie man es zu dieser Jahreszeit nicht erwarten konnte, und später hat man erfahren, dass es um San Pellegrino herum einen Eissturm gegeben hatte und der kalte Wind Gebirgskamm für Gebirgskamm bis zum Ponte heruntergekommen war. Seit dem vorherigen Tag hatte man keinen Deutschen mehr gesehen; nicht, dass sie einen großangelegten Rückzug unternommen hätten, aber von einem bestimmten Moment an waren sie nicht mehr da. In Wirklichkeit hatten sie schon eine Woche zuvor begonnen, nacheinander wegzugehen; ganz leise und unauffällig hatten sie sich in die oberen Verteidigungslinien zurückgezogen. Ebenso die Miliz. In der Nacht und bis zum Morgen hatten sie ununterbrochen die Straße unten im Tal bombardiert; lange, matte Schläge, als hätten sie keine Lust, und alle schön weit weg von der Brücke, als wollten sie sie verschonen. In der Nacht, zur Zeit der Ausgangssperre, als es keine Patrouillen mehr gab, die sie durchsetzten, kam jemand aus Moriano ins Wirtshaus, von dem man wusste, dass er einen Bruder bei den Schwarzhemden hatte, ein Kurzwarenhändler, der immer an alle verkaufte. Auf einen Tisch stellte er den geöffneten Koffer mit der Ware, ließ sich ein Glas Wein bringen und sagte, wenn Kameraden in der Nähe seien, so sollten sie sich besser ganz ruhig verhalten, denn die Amerikaner seien im Anmarsch. Er sagte, sie seien schon auf der Landstraße von Lucca angetreten, und wenn sie nachts hinausgingen, könnten sie auch den Lärm der Motoren im Leerlauf nicht mehr als zehn Kilometer von hier hören.
    Die Duse hörte diese beiden Dinge, weil sie nach der Suppe mit der Santarellina noch dageblieben war, um beim Maisauskörnen zu helfen. Das war nicht anstrengend und man wurde eher vom Singen als vom Auskörnen müde. Sie sangen immer, wenn sie etwas zusammen tun mussten; sie sangen auf die Art, wie die Santarellina es von den Frauen aus Vagli gelernt hatte, als sie die TODT-Straße weiterbauten, und sie sangen auf die Art der Duse: Jedenfalls waren es immer die üblichen Lieder voller Eifersucht und Kummer, Lieder von

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