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Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Maggiani
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Regenwald und hatte jeden Mann und jede Frau von São Francisco bis Urucará gesehen und kennengelernt. Dieser Pfarrer hatte sogar seine Eltern kennengelernt. Seine Eltern hatten ihn in das Haus des Pfarrers gebracht, als er noch sehr klein war, denn er hatte sich eine Krankheit zugezogen, die man auf ihrer Fazenda nicht heilen konnte. Der Pfarrer hatte ihn geheilt und ihm eine Schulbildung gegeben, und jetzt war er stark und weise und könnte ohne jede Gefahr durch die Welt fahren. Und das würde er auch tun, sobald wie möglich, wenn er wüsste, welche Richtung er einschlagen sollte, und das Boot fände, das dort hinfuhr. Die Eltern seiner Eltern kamen aus Italien; an sie erinnerte er sich nicht, denn er war noch zu klein, als er zum Pfarrer gezogen war. Auch der Pfarrer war aus Italien gekommen, aber anders.
    Das steht in den Heften von Herrn Welles, mit einem Stern neben dem Wort
different
, der auf eine Anmerkung hinweist: wichtig, überprüfen. Das wäre wirklich eine gute Geschichte gewesen, die er den anderen, die er sammelte, hinzufügen könnte, aber wahrscheinlich wollte er sichergehen, dass auch diese
all true
, ganz wahr wäre, und er erwähnt sie nicht. Die Geschichte, wie seine Großeltern hergekommen waren, hat mein Vater der Duse erzählt und die Duse mir. Und wenn Herr Welles sich im Italien meiner Urgroßeltern väterlicherseits besser ausgekannt hätte, hätte er keine Bedenken gehabt, sie wiederzugeben: Sie war im strengen Sinne
all true
.
    Diese Menschen, wie auch viele vor und nach ihnen, waren von einer der Agenturen, die zur Zeit der großen Auswanderungen nach Amerika die Fahrten organisierten und Arbeit vermittelten, ganz schön hereingelegt worden. Sie verkauften auf Pfand eine Schiffspassage gegen den Ertrag der ersten beiden Jahre Arbeit, abzüglich Kost und Logis. Arbeit als Landwirte: abholzen, Erde umgraben, säen und ernten auf einem Land, so unberührt und fruchtbar, dass es drei Ernten pro Jahr gab. Es war kein schlechtes Geschäft, es schien vielmehr ein Segen für Männer zu sein, die es nicht schafften, ihre Kinder vor der Pellagra und das Haus vor rückständigen Mieten zu retten. Mit diesem System waren Zehntausende nach Brasilien und Argentinien aufgebrochen, und in wenigen Jahren hatten diese Verträge Venetien entvölkert. In Genua gab es Büros, die nur an Veneter Reisepolicen verkauften; abends schickten sie Agenten über die Dörfer, die mit Fotos, Katasterplänen und bereits fertigen Verträgen an die Türen der Bauernhäuser klopften.
    Nur einem einzigen dieser Agenten wurde der Prozess gemacht, und er sagte, er habe mit Venetern gearbeitet, weil es mit ihnen leichter war: Sie hatten von allen am meisten Hunger. Das war ein Trick, es gab mehrere. Sie verkauften Passagen auf Schiffen, die in keinem Schiffsregister verzeichnet waren; und da gab es Zeiten, in denen sich auf den Straßen von Genua, an den Kais, auf den Bahnhofsanlagen, auf ihren Lumpen hingeworfen, Hunderte von Familien stapelten, die nicht wussten, wie sie nach Hause zurückkehren sollten.
    Aber der beste Trick war der, Menschen zu verkaufen. Sie ließen sie abreisen, und als sie in Belem, in São Luís, in Fortaleza ankamen, wurden sie von ihren Besitzern in Empfang genommen und in den Regenwald verfrachtet, um Bäume zu fällen; manchmal waren sie bis zu einem Monat unterwegs. Dort hatten sie keinerlei Freiheit und waren Herr über niemanden, nicht einmal über das Leben ihrer Kinder, die ebenfalls verkauft waren. Alles, was sie tun konnten, war arbeiten und hoffen, dass der Besitzer mit etwas zu essen kam. Sie konnten nicht fliehen, sie wussten nicht einmal, wo sie waren, jedenfalls waren sie ein, zwei Wochen von der nächsten Ansiedlung entfernt. Wenn der Besitzer dieses Stück Wald nicht mehr für rentabel hielt, ließ er sie dort, wo sie waren, denn es hätte ihn zu viel gekostet, sie anderswohin zu bringen. Sie starben bald an Krankheiten, noch eher als an Hunger oder Fallen der Indios. Und einige blieben übrig.
    Mein Vater hat meiner Mutter erzählt, dass seine Familie aus Vicenza kam, so hatte es ihm der Pfarrer berichtet. Und von den zwei- oder dreihundert, die im Wald angekommen waren, waren nach zwanzig Jahren noch ein Dutzend da, von ihrem Besitzer vergessen. Und von diesen starben einige an Altersschwäche, nachdem sie Kinder bekommen hatten. Und die Kinder starben nicht alle, sondern einige wurden kräftig genug, um ihrerseits wieder Kinder zu bekommen, Kinder wie Chico. Sie wollten ihr

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