Himmelsmechanik (German Edition)
Lügen in die Luft geflogen war. Die Santarellina kam bis nach Newcastle, nachdem sie die Straßen der TODT von einem Waisenheim der Bergnonnen zurückgegangen war, und es gab weder Wahrheit an dem Ort, von dem sie aufgebrochen war, noch an denen, durch die sie gekommen ist. Auch deshalb habe ich sie hierbehalten, diese verrückte Verbreiterin von Menschlichkeit: um in diesem Haus etwas Wahrheit in Sicherheit zu bringen.
Aber zurück zu dem, was Herr Welles über seine Unterhaltung mit dem Jungen erinnert, den man als Chico kennt. Der Junge trinkt sein Getränk und erzählt. Sie hatten es gut im Haus des Pfarrers; die Kinder wurden gesund, wuchsen heran und kehrten dann zu ihren Familien zurück, wenn sie welche hatten, und wenn nicht, konnten sie wählen, ob sie durch die Welt ziehen oder dableiben wollten, um bei dem Alten zu arbeiten. Er wusste nicht genau, ob er noch eine Familie hatte: Der Pfarrer hatte sich diesbezüglich nicht klar geäußert, nicht darüber, ob sie kommen würden, um ihn wieder abzuholen, und auch nicht, ob sie auf ihn warteten; er war geblieben und wartete darauf, nach Griechenland fahren zu können.
Über Griechenland wusste er alles. Abends, wenn die Kinder in ihren Hängematten lagen und noch nicht müde waren, jeden Abend außer freitags, dem Tag, an dem sie das Abendessen ausließen und schwiegen, öffnete der Alte sein Buch und las drei Seiten vor. Das Buch hieß
Ilias
, denn es erzählte in jedem kleinsten Detail von einer alten Stadt namens Ilion und davon, was geschah, bevor sie vom Krieg zerstört wurde. Den Krieg hatten ihr die Griechen erklärt, die aus zehn verschiedenen Städten gekommen waren, um sich Helena zurückzuholen, die schönste Frau der Welt, die der König von Ilion geraubt hatte. Es schien um Frauen zu gehen, doch der Alte hatte erklärt, es sei auch anderes im Spiel, nichts weniger als die Macht über die damalige Welt; und wenn es auch um eine Frau ging, hatten diese Männer in diesem tragischen Krieg doch alles gegeben, was sie hatten, auch ihr Leben, und am Ende konnte niemand mit etwas Gutem nach Hause zurückkehren, auch nicht die Sieger. Es war eine so schöne und so schreckliche Geschichte, dass keiner von denen, die sie gehört hatten, sie jemals hätte vergessen können. Er gewiss nicht.
Der Junge fragte, ob er ihm einige Stücke davon erzählen solle, wenigstens die schönsten, aber Herr Welles sagte nein, er kenne diese Geschichte sehr gut und sei mit Chico einer Meinung: Er hielt sie gewiss für eine der schönsten Geschichten, die jemals erzählt worden waren. Chico fühlte sich beschämt; er war sehr stolz darauf, dass er sie fast ganz auswendig konnte und abgesehen von den Kindern im Haus des Pfarrers noch nie die Gelegenheit hatte, sie jemandem zu erzählen. Jetzt, da er einen echten Griechen traf, hätte er gern einen guten Eindruck gemacht.
Orson Welles hatte große Mühe, Chico davon zu überzeugen, dass er keinesfalls Grieche war, sondern wie er ihm erzählt hatte, nur Nordamerikaner, und dass sein Name Orson Welles war und kein Grieche jemals so heißen könnte. Chico wies Herrn Welles darauf hin, dass in der Geschichte viele schöne Farbbilder waren und unter diesen eine Darstellung des griechischen Helden Ajax und es keinen Zweifel gäbe, dass sie sich glichen wie ein Wassertropfen dem anderen. Welles gestand zu, dass Ajax ein großer Held gewesen sei, und fragte Chico, was ihn denn zu seiner Neugier auf das griechische Meer treiben würde.
Der Junge holte weit aus. Er erzählte, der alte Pfarrer hieße Olinto, was Bewohner des Olymps bedeutete. Der Olymp sei der Berg mitten in Griechenland, von wo sich die alten heidnischen Götter über die Menschen und die anderen Angelegenheiten der Schöpfung einschließlich des Krieges von Ilion als Herr aufspielten, was den Alten dazu prädestinierte, in dieser Geschichte zu Hause zu sein, wo sich die Götter frevelhaft mit den Menschen bekriegten und sündig mit deren Frauen ins Bett gingen. Der Junge war sicher, dass er einen Vorfahren unter diesen Göttern gehabt hatte und auf die Welt kam, um Pfarrer zu werden und etwas von dieser Ehre, die diese Gierigen und Eitlen verloren hatten, wiederherzustellen. Und jedes Mal, wenn er die täglichen drei Seiten vorzulesen begann, flehte er die Kinder an zu begreifen, dass es für ihn eine öffentliche Buße und ein Akt der Reue und Bitte um Verzeihung war. Zu Füßen dieser Unschuldigen liegend, die eines Tages aus der Tiefe des Waldes herauskommen
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