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Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Maggiani
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natürlich eine angemessene Meinung von der Liebe. Und eine wenigstens annehmbare von seinem Vater.
    Der kein Amerikaner war, nicht in dem Sinne, wie man ihn damals dem Amerikanersein gab. Er gehörte nicht zur Armee der Vereinigten Staaten. Er war nämlich ein Amerikaner aus Brasilien, ein Brasilianer aus dem Bundesstaat Pará. Wir, die wir nicht undankbar sind, erinnern uns noch daran: Die ersten Alliierten, die sich im Revier blicken ließen, waren Brasilianer, sie waren es, die ’44 die Front hielten. Dann kamen die Inder, die Maori, die Neuseeländer, die Schwarzen des Buffalo-Regiments, aber erst, nachdem die Brasilianer zur Hälfte umgekommen waren in der Weihnachtsoffensive, in
la Wintergewitter
; wie wir es sorgfältig im Originalwortlaut auswendig lernten, und dabei einem Wort einen unabsichtlichen und unangebrachten Anschein weiblicher Leichtigkeit verliehen haben, das die Deutschen schlimmer als männlich, nämlich als sächlich betrachten.
    Die Brasilianer waren die von der Rauchenden Kobra; so komisch nannten sie sich. Sie kamen aus einem Land, so groß und vor allem so fern vom ganzen Rest der Welt, dass auch der Weltkrieg darin versunken wäre. Ihr Präsident, der dumme Diktator Vargas, hatte nämlich feierlich gegenüber der Nation erklärt, er würde ihr Kriegsleiden ersparen, und versprochen: Eher werdet ihr eine Kobra Zigarren rauchen sehen, als dass sich unser geliebtes Land auf einen weiteren Krieg einlässt. Das Volk erinnerte sich noch an die langen, fruchtlosen Kriege, die sie vor einigen Jahrzehnten gegen Argentinien und Paraguay geführt hatten, Kriege um Territorien, von denen niemand wusste, ob sie am Ende erobert worden oder verloren gegangen waren, Land, das regieren zu wollen sich jedenfalls niemand die Mühe machte. Als sie schließlich zu 30000 in einem Dutzend Handelsschiffen zusammengepfercht waren, mit dem Ziel »europäischer Kriegsschauplatz«, sagten sie sich: Nun gut, dann heißt das, dass die Kobras wirklich das Rauchen angefangen haben.
    Und sie schrieben es auf ihre Fahnen, ließen es sich auf ihre Kragenspiegel sticken, malten es sich auf die Seitenwände ihrer Lastwagen.
Die Rauchende Kobra
. Ihre Generäle nahmen es ihnen nicht übel, und nicht einmal der treubrüchige Präsident: Sie wussten, dass es weder leicht noch opportun wäre, den Sinn für Humor dieser Zehntausenden jungen Männer zu bestrafen, die meistens noch nicht einmal genau begriffen hatten, wer ihre Verbündeten und wer ihre Feinde waren. Da ihr Diktator von faschistischer Tendenz war, war er sich bis kurz vor Kriegseintritt in Freundschafts- und Treuebekundungen für die Achse ergangen; Roosevelt musste mit Feuer und Flamme drohen, viel bezahlen und noch mehr versprechen, um Brasilien auf seiner Seite mit nach Europa zu bringen.
    Sie brachen auf mit einer Generationen alter, schlecht funktionierender Ausrüstung, unter dem Kommando von Offizieren, die bei den Familien der Großgrundbesitzer angeworben waren, den wenigversprechenden Söhnen dieser Familien, Militärs aus Verdruss, die bei deutschen Ausbildern und mit französischen Büchern gelernt hatten. Allein um diese Männer und ihr Alteisen zusammenzubringen, brauchte man Monate, weil die Kasernen über das ganze Land verstreut waren, eine von der anderen Tausende Kilometer entfernt und weitere Tausende von der Hauptstadt; Garnisonen in den Regenwäldern von Maranhão und Pará versunken, in den Wüsten von Minas Gerais vertrocknet, in den Grassteppen von Santa Catarina vergessen.
    Sie wurden in Rio de Janeiro eingeschifft, wobei man ihnen sagte, sie würden Griechenland befreien gehen und früher oder später anhalten und auf afrikanischem Territorium für dieses schwierige Unternehmen ausgebildet werden; dort würden sie auch bestens bewaffnet werden. Doch sie wurden in Neapel an Land gebracht und für den Rest des Sommers ’44 mitten auf dem Land bei Caserta auf einer großen Pfirsich- und Aprikosenplantage kaserniert. Man ließ sie Kniebeugen machen und zwischen den Baumreihen aufund abmarschieren, und sie konnten gerade noch das gesamte Obst essen, bevor das Alliierte Oberkommando einen Zweisternegeneral schickte, um sie zu beglückwünschen, sie neu einzukleiden und neu zu bewaffnen und sie auf Lastwagen zu verfrachten mit dem Befehl, nach Norden zu fahren, bis sie auf den Feind trafen.
    Der nächste Feind war hier bei uns, und hier hielten sie an. Unterwegs gab es die ersten Toten. Aber nicht im Kampf, sondern meistens bei Unfällen. Auf

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