Himmelsschatten
hatte sich schon oft über Weldon geärgert, der drei Jahre jünger war als er, sich aber gebärdete wie ein viel älterer Mann.
»Äh, wie Sie alle sehen können«, fuhr Shawler stotternd fort, »wird die Saturn VII , die das Lunar Surface Activity Module, die Mondlandefähre, trägt, am kommenden Montagnachmittag um zwölf Uhr vierzig Eastern Daylight Time planmäßig starten. Nachdem sie einmal die Erde umkreist hat, erfolgt der Start der Destiny -5 . Wir erwarten günstige Wetterbedingungen …«
Während Shawler den Standardtext herunterleierte, fasste Zack die drei Astronauten zu seiner Rechten ins Auge; alle trugen die gleichen himmelblauen Hemden im Polostil mit dem Destiny -5 -Logo. Die drei hatten so viel gemeinsam – Teufel noch mal, der Altersunterschied zwischen ihnen betrug nur vier Jahre –, und seit ihrer Zuteilung zu der Mission im Dezember 2015 hatten sie als Team Tausende von Arbeitsstunden miteinander verbracht. Doch einen Moment lang kamen sie Zack wie Fremde vor.
Er drehte sich wieder zu den vor ihm sitzenden Leuten um … die übliche Mischung aus altgedienten Reportern und ambitionierten Bloggern, NASA - und Cape-Angestellten und, in der hintersten Reihe, Familienangehörige und Freunde.
Aber er sah weder Megan noch Rachel!
Zacks aufkeimendes Unbehagen wurde von dem ersten Fragesteller unterbrochen. »Commander Stewart – wieso ist die Destiny -Mission wichtig? Warum dieser ganze Aufwand, um noch einmal auf den Mond zurückzukehren?«
Das Stöhnen aus der Runde der anderen Reporter verschaffte Zack die Zeit, um sich an Shawler zu wenden.
»Scott, könnten Sie bitte die Goddard-Website aufrufen?« Shawler wartete nur darauf, zeigen zu können, dass er durchaus kompetent war, und hämmerte auf seinen Laptop ein, bis sich das Bild auf dem großen Schirm hinter dem Podium änderte.
Auf einem schwarzen Hintergrund erschien ein weißer Tupfer.
»Das ist Keanu, unser jüngstes Near-Earth-Objekt«, erläuterte Zack. »Wenn Sie sich die Site ansehen, werden Sie erfahren, dass Keanu fast anderthalb Milliarden Kilometer von der Sonne entfernt ist und schnell näher kommt. Von jetzt an gerechnet wird er in siebenundzwanzig Monaten die Erde im Visier haben.
Unseren akkuratesten Berechnungen zufolge stößt Keanu nicht mit der Erde zusammen, was ein Glück ist, denn sein Durchmesser beträgt rund einhundert Kilometer, und die Zerstörungskraft eines Einschlags würde jedes Lebewesen töten, das größer ist als eine Bakterie.«
Er sah Jones an, der, wie erwartet, die Tränen wegblinzelte, die ihm ob der Unfassbarkeit einer solch entsetz lichen Tragödie in die Augen gestiegen waren. »Dem Geschoss namens Keanu können wir noch mal um Haaresbreite entgehen, aber eines Tages werden wir ein Objekt entdecken, das sich auf Kollisionskurs mit der Erde befindet. Und wenn das passiert, müssen wir in zweierlei Hinsicht gerüstet sein:
Als Erstes müssen wir wissen, welche Operationen im Umkreis eines erdnahen Objekts sowie auf dessen Oberfläche möglich sind, für den Fall, dass wir etwas unternehmen können, um dessen Flugbahn zu ändern. Zweitens, und dieser Aspekt ist ein bisschen relevanter, muss die menschliche Rasse auf einer anderen Welt permanent präsent sein, eine Insel der Menschheit bilden, die den Fortbestand unserer Spezies sichert. Wenn ein NEO wie Keanu eines Tages mit der Erde zusammenprallt, werden sieben Komma noch was Milliarden Menschen sterben! Wäre es da nicht beruhigend zu wissen, dass wir nicht gänzlich aus dem Universum verschwinden wie die Dinosaurier?«
Die Pressekonferenz drehte sich um die erwarteten Fragen über den mit einer Druckkabine ausgestatteten Rover der Venture und die Wahrscheinlichkeit, am Shackleton-Krater Eis zu entdecken, als ein ungefähr vierzig Jahre alter Inder aufstand und wissen wollte: »Was sagen Sie Ihren indischen und russischen Freunden, die befürchten, die Amerikaner könnten Shackleton für sich beanspruchen, quasi als ersten Schritt in Richtung einer interplanetaren Manifest- Destiny -Doktrin?«
Das war Taj! Taj Radhakrishnan, ein indischer »Vyomanaut« – das indische Raumfahrtprogramm bestand auf einer einheimischen Terminologie –, der in der ISS zu Zacks Team gehört hatte. Der Form halber hatte Jack an alle drei Mitglieder der damaligen internationalen Crew Einladungen geschickt, doch in Anbetracht der wachsenden Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und der neuen Koalition von Russland und Indien hatte er nicht damit
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