Himmelsschatten
Mund über die Mysterien und Schrecknisse Keanus fusselig zu reden.
Bevor Harley sein Headset abnehmen konnte, hörte er: »Harls, Shane.«
»Schläfst du eigentlich nie?« Bei einer normalen Raumfahrtmission, selbst wenn es ein Flug ins All war, mussten sich die Mitglieder des Mission-Control-Teams nach einem Schichtwechsel nach Hause begeben und sich ausruhen. Shane Weldon hätte schon vor drei Stunden bei sich daheim zu Abend essen sollen und mittlerweile im Bett liegen müssen. Aber auch Harley durfte eigentlich nicht mehr beim Home-Team sein.
»Nach allem, was ich heute gesehen habe, werde ich vielleicht nie wieder schlafen können.«
»Ich höre …«
»Mach dich auf was gefasst, Harls, da braut sich was zusammen. Unser Freund Bynum vom Weißen Haus hat Alarm geschlagen. Wir blockieren simultan sämtliche Transmissionen …«
»Shane, ich muss jetzt zu Rachel.«
»Kapiert. Wollte dich bloß vorwarnen. Gib mir Bescheid, wenn du Unterstützung brauchst.«
Das Zimmer, in dem das Home-Team untergebracht war, lag näher am Aufenthaltsraum für Familienangehörige als der Bereich der Mission Control. Doch da sich Buell früher auf den Weg gemacht hatte als Harley, hätten die beiden nicht gleichzeitig dort eintreffen dürfen.
Harley kannte den altgedienten Astronauten; normalerweise war er äußerst gewissenhaft. »Was zum Teufel hat dich aufgehalten! Es wird kein Spaß werden, aber das ist dein neuer Job.«
»Ich weiß, Harley!« Jeder Astronaut war im Bilde. Damals in den Sechzigern kam Ted Freeman an einem Samstagmorgen beim Absturz einer T-38 ums Leben … und ein Reporter überbrachte der Witwe die Meldung, bevor die NASA sie benachrichtigen konnte. Keiner wollte, dass das noch mal passierte. Buell winkte mit seinem Handy. »Gerade hat man mir mitgeteilt, dass Jones unterwegs ist …«
»Was, damit er vor ihr in Tränen ausbrechen kann? Du gehst jetzt da rein und erledigst deinen Job.«
Buell öffnete unverzüglich die Tür, doch die abrupte Geste und sein bekümmerter Gesichtsausdruck verrieten jedem im Raum sofort, dass er mit schlechten Nachrichten kam. »Ah, Linda, ich muss mit dir sprechen.«
Downeys Frau stand langsam auf und griff dabei nach einem ihrer Kinder. Harley befand sich unmittelbar hinter Buell und hoffte, er würde mehr Ruhe ausstrahlen. »Rachel, komm mit mir nach draußen auf den Flur. Alle anderen verlassen bitte auch den Raum.«
Rachel und ihre Freundin Amy schossen so geschwind aus dem Zimmer, dass sie um ein Haar mit Gabriel Jones und einem seiner Mitarbeiter zusammengeprallt wären, die soeben eintrafen.
»Entschuldigung, Leute!« Mit seinem Rollstuhl blockierte Harley die Tür, aber in einer Weise, dass die anderen im Raum befindlichen Personen rechts und links daran vorbeigehen und in den Korridor treten konnten.
»Harley …« Jones setzte seine beste väterliche Miene auf.
Aber Harley verließ das Zimmer und schloss hinter sich die Tür. »Jemand kümmert sich um die Angelegenheit.«
Er wandte sich an Rachel. »Deinem Dad geht’s gut.«
Natürlich hätte er den anderen Leuten – Freunde und Familienangehörige von Patrick Downey – genauso gut zurufen können: »Eurem Mann aber nicht!«
Harley erwartete, erneut mit Fragen bombardiert zu werden; stattdessen sah er Schock, Bestürzung, schwindende Hoffnung. »Meine Damen und Herren«, begann Jones, der sich darauf einstellen musste, jemand anderem als der Witwe die Nachricht mitzuteilen, »auf Keanu hat es einen Unfall gegeben. Wir haben Colonel Downey verloren.«
Harley schüttelte den Kopf. Es gab keinen guten Ort, um eine solche Mitteilung zu hören, aber manche Örtlichkeiten waren einfach besser geeignet. Auf einem Korridor zu erfahren, dass der Bruder, der Vater, der Nachbar von nebenan gerade bei einem bizarren Weltraumunfall ums Leben kam …
Als das Schluchzen rings um ihn her lauter wurde, rollte er seinen Stuhl zu Rachel, die sich an ihre Freundin klammerte. »Wir gehen nach draußen«, sagte er zu den beiden Mädchen.
Noch im selben Moment, in dem sie das Gebäude verließen und in die schwülwarme Luft eines Houstoner Abends traten, erzählte Harley Rachel von der Membran, den Markierungen, dem Bienenstock, der Entität, die offenbar Patrick Downey attackiert und getötet hatte.
»Im Grunde weißt du also gar nicht, ob es meinem Vater gutgeht oder nicht!« Rachel schwankte zwischen hysterischer Wut und ganz normaler Hysterie.
»Lucas meldete, dass dein Vater und Natalie wohlauf und in Sicherheit
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