Himmelsschatten
nickte, völlig erschöpft, und lockerte seinen eigenen Griff.
Zum Schluss ruhte das Megan-Ding an der Wand unterhalb der Wabe, in der es entstanden war, die Beine von sich gestreckt, die Arme weit ausgebreitet wie zu einem Willkommensgruß.
Dann öffnete die Kreatur die Augen. »Du hast dir aber viel Zeit gelassen«, keuchte sie.
»Heilige Scheiße!«, entfuhr es Zack. Auch aus Natalias Kehle löste sich ein Schrei.
»Nicht so laut«, flüsterte das Megan-Ding.
»Entschuldigung.« Entschuldigung? Was zum Teufel war das? Er behandelte diese Kreatur wie ein menschliches Lebewesen! »Äh«, stotterte er, auf der Suche nach dem richtigen Tonfall, denn Pogo Downeys Enthauptung war immer noch frisch in seinem Gedächtnis, »wer oder was bist du?«
»Ich heiße Megan Doyle Stewart.«
Das war natürlich Unsinn. Megan Stewart war seit zwei Jahren tot, beigesetzt in einem schlammigen Grab südlich von Houston.
Dies hier war … ein Konstrukt, eine Maschine, irgend ein … Ding.
Zack warf einen Blick auf Natalia. Nase und auch Mund waren immer noch mit Blut verschmiert, und sie entfernte sich von ihm und diesem unheimlichen Etwas. Am liebsten hätte Zack ihr hinterhergerufen: Bleib hier! Aber stattdessen konzentrierte er sich auf diese Kreatur, die sich als seine verstorbene Frau identifizierte.
Also gut , dachte er. Tief einatmen. Spiel das Blatt, das man dir ausgeteilt hat. Das Ding hat behauptet, Megan zu sein. Du kannst nichts verlieren, wenn du zum Schein darauf eingehst. »Möchtest du als Erstes denn nicht wissen, wo du dich befindest? Und vielleicht hast du noch hundert andere Fragen an mich.«
»Doch, ja.« Sie schloss für einen kurzen Moment die Augen. Während der Zeit ihres Zusammenlebens hatte Zack Megan einige Male gepflegt, als sie an einer Grippe erkrankt war. Genauso sah sie jetzt aus, schwach, blass, müde. Dann schien es, als würde sie all ihre Kraft zusammenraffen. »Aber … ich weiß bereits, wo ich bin. Im Innern von Keanu.« Auf einmal lächelte sie.
Zack konnte es nicht glauben, dass er dieses Gespräch führte. Er bildete sich gern ein, geistig flexibler zu sein als der Durchschnittsmensch. Er war bereit, womöglich begierig – mitunter sogar allzu erpicht darauf –, unkonventionell zu denken. Aber diese Situation … »Darf ich dich etwas fragen?«
Das Megan-Ding lächelte wieder und nickte.
»Kennst du diese Zeile? ›Vielleicht ist der Tod ja freundlich, und es kann eine Rückkehr geben …‹«
»Ja, ja, Sara Teasdale. Mein Lieblingsgedicht, dessen Ende lautet ›Erfahren wir Glück, denn die Toten sind frei.‹ In diesem Augenblick kommt mir das ziemlich komisch vor. Das Gedicht wurde bei meiner Beerdigung gesprochen, nicht wahr?«
Der Gedanke schien ihr Energie einzuflößen – kein Wunder, denn plötzlich erschien es Zack, als hätte seine Frau den Tod irgendwie ausgetrickst. »Wer war bei deiner Beisetzung anwesend? Wer hat an deinem Grab geweint?«
Dass sie dieses Gedicht kannte und Fragen bezüglich der Beerdigung richtig beantworten konnte, bestätigte Zack in seiner Entscheidung, die er gerade getroffen hatte; er musste sich so verhalten, als hätte er tatsächlich seine einstmals verstorbene Ehefrau vor sich. Auch wenn dies völlig ausgeschlossen war.
5
»Die ISRO -Mission Brahma sorgt weiterhin für gemischte Reaktionen in der Bevölkerung, angefangen von Stolz und Begeisterung bis hin zu Ablehnung und Gleichgültigkeit. Man ist ganz offensichtlich stolz darauf, welche Rolle der Vyomanaut T. Radhakrishnan bei dem Unterfangen spielt. Der Mangel an Interesse lässt sich ebenfalls verstehen. In einem Land mit einer Mil-
liarde Einwohnern, von denen die meisten immer noch in Armut leben, fragt man sich nach dem Nutzen einer derart kostspieligen Raumfahrtmission.
Doch wenn unsere Nation in den vergangenen dreißig Jahren etwas gelernt hat, dann ist das die Erkenntnis, wie wertvoll Informationen sein können. Aus diesem Grund haben wir in die Mission der Brahma investiert.«
KOLUMNIST KULDIP SANGVHI
BEI E-PAPER VIJAYA TAMATAKA, 23. August 2019
Natalia hörte, wie Zack ihren Namen rief, aber sie reagierte nicht darauf. Sie wollte nicht sehen, was er mit der Kreatur aus der Wabe anstellte. Sie wollte nur raus aus dieser Kammer und zurück zur Brahma .
Sie wollte zur Erde zurückfliegen und nie wieder an Keanu denken.
Ihr war bewusst, wie unprofessionell sie sich verhielt. Und dabei hatte sie sich so angestrengt, um Kosmonautin zu werden, eine der wenigen Frauen, die
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