Himmelsschatten
für die Heilige Mutter Russland ins Weltall flogen; sie hatte immer geglaubt, dass es für sie nichts Schöneres gäbe, als das Sonnensystem zu erforschen, auf dem Mond zu leben und zu arbeiten und auf dem Mars zu landen.
Und sie hatte es bis hierhergeschafft, in das Innere eines Near-Earth-Objekts, wo die Umgebung entgegen aller rationalen Erwartung Leben zuließ.
Fast war es sogar gemütlich hier. In der Luft hing immer noch ein warmer Nebel, doch der Wind hatte sich gelegt. Aus dem Boden schienen bizarre Pflanzen zu sprie ßen, die Blüten entwickelten, starben, und danach von etwas gänzlich anderem ersetzt wurden.
Natürlich war dies keine Forschungsexpedition – der Ausflug hatte sich in einen Albtraum verwandelt.
Da sie wusste, dass sie ihn brauchen würde – möglichst schnell, wie sie hoffte –, machte sie sich auf die Suche nach ihrem Helm.
Sie hatte ihn am Sockel der Wand des Bienenstocks liegen lassen, unweit der Zelle, in der sich »Konstantin« gekrümmt hatte. Als Natalia sich bückte, um den Helm aufzuheben, hörte sie, wie eine Stimme auf Russisch und in höchster Qual schrie: »Hilf mir!«
Unwillkürlich blickte Natalia in die Richtung, aus der die Stimme kam. Und dort, außerhalb einer Zelle, triefend vor Schleim und bibbernd wie ein nackter Mann am Nordpol, befand sich das exakte Ebenbild von Konstantin Alexandrovich Fedoseyev, Weltmeister im Cross-Country-Biathlon. Ihr ehemaliger Coach, der sie trainiert hatte, als sie zwischen vierzehn und zwanzig Jahre alt gewesen war.
Sie trat näher heran, aber nicht zu nahe. Das Konstantin-Ding zuckte und zappelte … während es auf mitleiderregende Weise zu laufen versuchte.
Jetzt sah sie das Gesicht … rosige Haut, glänzende Augen, Spuren eines wachsenden Oberlippenbarts.
Trotz seiner Zuckungen streckte das Ding die Hände nach ihr aus – und rief ihren Namen!
»Bleib, wo du bist!«
»Natalia!«, sagte das Wesen. »Ich lebe!«
»Sprich meinen Namen nicht aus!«
Die Kreatur machte Anstalten, sich auf sie zu stürzen, war jedoch so wackelig auf den Beinen, dass sie vor ihren Füßen hinfiel. Natalia wich zurück. Die Situation war ihr auf eine beklemmende Weise vertraut … etwas Ähnliches hatte sich in jener schrecklichen Nacht während des Trainings in Osterland abgespielt, als ihr Coach und Freund – vor zwanzig Jahren war Konstantin für sie beides gewesen – sie angriff.
Wenn dieser »Konstantin« ihr zu nahe käme, würde er dann auch wieder diese schale Alkoholfahne verströmen? »Ich sagte, bleib, wo du bist!«
Das Konstantin-Ding rappelte sich auf die Knie hoch und fuhr fort zu wimmern. Obwohl die Kreatur zum größten Teil mit einer zweiten Haut bedeckt war, stellte sie dennoch das perfekte Replikat des Mannes dar, wie er in seinen späteren Jahren ausgesehen haben musste. Hängebacken, Bierbauch … sein Penis und die baumelnden Hoden waren durch die Hülle zu sehen.
Sie weigerte sich, hinzuschauen. Auf gar keinen Fall würde sie diesem Ding in die Augen blicken. Ihre Tante Karolina, die in einem Dorf in den Wäldern nahe Kaluga wohnte, hatte ihr gezeigt, wie sie sich in solchen Situationen verhalten musste.
Sie bekreuzigte sich, so gut es in dem Raumanzug ging.
Dann hob sie ihre Hand und hielt sie »Konstantin« entgegen, den Zeigefinger und den kleinen Finger ausgestreckt. »Bleib, wo du bist!«
Doch das Ding warf sich auf sie und packte ihren Knöchel.
Sie knallte der Kreatur ihren Helm gegen den Kopf. Aber die Hand krallte sich immer noch um den Stiefel ihres Anzugs.
Deshalb schlug sie wieder zu. Und endlich war sie frei.
Dann holte sie ein drittes Mal mit dem Helm aus, und noch ein viertes Mal.
Das Konstantin-Ding hörte auf zu zappeln und lag reglos vor ihren Füßen. Eine Seite des Kopfes war zu Brei zerquetscht.
Hatte sie die Kreatur getötet?
Sie hoffte es.
Nach einem letzten Blick in die Runde prüfte sie ihren Helm auf eventuelle Schäden … und entdeckte nichts außer platt gedrückten Fragmenten der zweiten Haut.
Sie wischte die Fetzen ab und stülpte sich den Helm wieder über.
6
»Ich fühle mich bemüßigt, diesen aktualisierten Text zur Melodie der Navy-Hymne zu posten:
Lord, guard and guide the men who fly
Through the great spaces of the sky
Be with the travelers in the air,
In darkening storms or sunlight fair;
Oh, hear us when we lift our prayer,
For those in peril in the air.«
GEPOSTET von BEN auf NEOMISSION.COM
»Sehr passend! Gut gemacht!«
GEPOSTET von JERMAINE, DIESELBE
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