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Himmelsschwingen

Himmelsschwingen

Titel: Himmelsschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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ärgerliches Zischen einzugehen, fügte er hinzu: »Auch wenn Nephthys etwas anderes behauptet.«
    Wie sie da mit geballten Fäusten stand und wie ein flugbereiter Maikäfer tief Luft holte, gefiel sie ihm außer ordentlich. Wahrscheinlich war es der sechste Sinn des Kämpfers, dachte er später, der ihn in dieser Situation davon abgehalten hatte, ihr über die Wange zu streichen. Vermutlich hätte sie ihn dafür erdolcht. Er setzte eine undurchsichtige Miene auf.
    Das schien sie zu beruhigen. »Du bist ein Dummkopf!«
    Nun, vielleicht ist sie immer noch ein klein wenig aufgebracht , mahnte seine innere Stimme, die inzwischen sogar die Kunst der feinen Ironie erlernt hatte .

Nicht zum ersten Mal beschimpfte man Samjiel. Wer vor seinem Henker stand, neigte dazu, kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen. Doch einen Dummkopf hatte ihn noch nie jemand genannt, und er wusste nicht, ob er be leidigt reagieren oder lachen sollte. Die Entscheidung wur de ihm jedoch abgenommen, denn hinter ihnen öffneten sich fast gleichzeitig die Türen zur Probebühne der Tänzer und zum Musikzimmer. Bevor man ihre Anwesenheit bemerkte, verließen die beiden Engel eilig das Theater.

     
    »Und jetzt?« Die Hände tief in den Hosentaschen vergra ben, die Schultern angespannt, sodass der hochgeschlagene Kragen seiner Jacke das halbe Gesicht verbarg, sah Samjiel sie mit himmelblauen Augen an.
    Sollte sie diesen unmöglichen Engel würgen oder küssen? Iris entschied sich für keine der beiden Möglichkeiten und winkte einem herannahenden Taxi. Als abzusehen war, dass der Fahrer, obwohl er sie sehr wohl gesehen hatte, nicht anhalten wollte, sprang sie mitten auf die Fahr bahn. Reifen quietschten, der Wagen schlingerte und rutschte schließlich in hohem Tempo auf sie zu. Im letzten Augenblick stieß Samjiel sie beiseite.
    Und wurde selbst überfahren.
    Endlich kam das Taxi zum Stehen, und der Fahrer fluchte lästerlich. »Seid ihr wahnsinnig geworden? Verdammte Touristen, in der Hölle sollt ihr schmoren, bis zum Jüngsten Tag!«
    »Dieses Schicksal blüht wohl eher dir!«
    Iris hatte sich aufgerappelt und beobachtete, wie ein unverletzter Samjiel den Kerl am Kragen packte und schüttelte.
    »Deine Bremsen sind kaputt, du gefährdest Menschenleben. Ist dir das eigentlich vollkommen gleichgültig?«
    Erstaunlich , dachte sie, dass er sich über solche Dinge Gedanken macht.
    Noch verwunderlicher fand sie, wie sehr es ihr gefiel, dass er offenbar der Meinung gewesen war, sie retten zu müssen. Normalerweise ärgerte es sie, wenn jemand ihre Fähigkeiten unterschätzte, obwohl dies im Kampf natürlich der entscheidende Vorteil sein konnte. Auch sie verstand sich darauf, sich in ein feinstoffliches Wesen zu verwandeln, dem wenig in dieser Welt wirklich Schaden zufügen konnte. Zugegeben, ein Talent, das nicht viele Engel in solcher Vollendung besaßen, wie Samjiel es soeben demonstriert hatte. Im Augenblick wirkte er allerdings ausgesprochen real, wenn man einmal von den Augen absah, deren unheilvolles Glühen ahnen ließ, wie nahe sich himmlische und höllische Geschöpfe im Grunde doch waren.
    Dem Taxifahrer schien dies noch nicht aufgefallen zu sein. Ungeachtet seiner etwas unglücklichen Situation – die Füße baumelten etwa zehn Zentimeter über dem brüchigen Asphalt – spuckte er aus und entließ eine beachtliche Anzahl kreativer Flüche in die Welt.
    »Sieh mich an!« Samjiels Ton erlaubte keinen Widerspruch.
    Was auch immer der Sterbliche hatte antworten wollen, es blieb ungesagt. Er wimmerte. »Heilige Muttergottes, verschone mich!« Er bemühte eine ganze Reihe von Heiligen, die ihm aus naheliegenden Gründen jedoch nicht zur Hilfe eilten. Selbst wenn sie ihn gehört hätten, wäre wohl kaum einer wahnsinnig genug, sich mit einem General himmlischer Heerscharen anzulegen, dem sein Ärger deutlich anzusehen war. Was genau genommen schon einem Wunder nahekam, aber das ahnte der Mann natürlich nicht.
    Wie ausgeprägt war Samjiels Gefühlsleben mittlerweile wirklich? Es fiel ihr schwer, zwischen den antrainierten Signalen, die er aussandte, und seinen wahren Empfindungen zu unterscheiden. Obwohl ihm die Hartnäckigkeit, mit der sie ihre Ziele verfolgte, mittlerweile ganz bestimmt auf die Nerven ging, ließ er sich weiter auf sie ein. Iris hatte nicht vergessen, warum er sie fortgeschickt hatte. Er wollte sie schützen.
    Bemüht zu verbergen, wie sehr sie diese Fürsorge berührte, stieg sie kommentarlos ein, als er ihr die Autotür

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