Himmelsschwingen
aufhielt, und freute sich darüber, wie entschlossen er den Fahrer hinter das Lenkrad schob und sich anschließend neben sie setzte. Den inzwischen angemessen verängstigten Mann ließ er dabei keine Sekunde unbeobachtet.
Ein echter Krieger eben! Ich bin entzückt , jubelte die Versuchung, und Iris stimmte ihr ausnahmsweise einmal zu. Auch wenn ein Teil von ihr immer noch genau wusste, dass solche Empfindungen gefährlich waren, genoss sie die Illusion, die ihr vorgaukelte, in seiner Nähe sicher und behütet zu sein.
»Wohin wolltest du?« Samjiels höflich klingende Stimme verbarg nun wieder alle Gefühle.
Aus war es mit dem Traum. Iris nannte eine Adresse, und der Fahrer gab Vollgas.
Nachdem seine rasante Kurventechnik sie bereits zum dritten Mal gegen Samjiel geschleudert hatte, murmelte sie: »Man könnte glauben, ihm sitzt ein Dämon im Nacken.«
Vielleicht lag es an der warmen Hand ihres Mitpassagiers, die etwas länger auf ihrem Arm lag, als notwendig gewesen wäre, um sie wieder in eine aufrechte Position zu bringen, dass sie seine gemurmelte Antwort nicht sofort verstand: »Nicht ohne Grund.«
Sie musste sich verhört haben. Er konnte doch nicht ernsthaft vorhaben, mit der Unterwelt einen Pakt einzugehen. Andererseits verkehrte er in einschlägigen Kreisen, das hatte sie ja selbst gesehen. Nein, das konnte nicht sein! Sie weigerte sich einfach, diesen Gedanken weiterzuverfolgen.
»Sieh nach vorn, Mann!« Samjiel hatte seine Stimme kaum erhoben, doch der Fahrer gehorchte sofort. Er hatte sie während der gesamten Fahrt beobachtet, und auch jetzt sah er immer wieder in den Rückspiegel, als wollte er sich vergewissern, dass normale Menschen und kein ganzes Rudel Wölfe in seinem Font saßen.
»Keine Sorge, die rasen hier alle so.« Iris betrachtete den fließenden Verkehr, und wie aufs Stichwort machte das vor ihnen fahrende Auto einen plötzlichen Schlenker. Als sie gleich darauf durch ein tiefes Schlagloch rumpelten und Samjiel sich bestimmt den Kopf angeschlagen hätte, wäre er nicht geistesgegenwärtig genug gewesen, ihn einzuziehen, wurde auch deutlich, warum sich niemand um Fahrspuren scherte, die zumeist ohnehin nicht eingezeichnet waren. Niemand legte es darauf an, sich bei einer einfachen Stadtfahrt einen Achsenbruch zuzuziehen.
Samjiel brummte etwas, das wie »ich weiß« klang, gleich darauf sog er scharf die Luft ein. »Wo sind diese dämlichen Schutzengel, wenn man sie braucht?« Er zeigte auf die vor ihnen liegende Kreuzung, auf die der Fahrer mit unverminderter Geschwindigkeit zuraste.
»Keine Panik, du hast ja mich!« Ihre Finger krallten sich in die Lehne des Beifahrersitzes, und nicht etwa deshalb, weil ihr Fahrer im Zickzack durch den Querverkehr navigierte, der zweifellos Grün hatte. Auch der Beinahe-Zusammenstoß mit einem Motorrad ließ sie vergleichsweise ruhig. Sie spürte Samjiels Blick auf sich ruhen und konnte nur hoffen, dass er die falschen Schlüsse zog.
Iris hätte sich ohrfeigen können. Wie kam sie dazu, eines ihrer größten Geheimnisse auszuplaudern? Offenbar fühlte sie sich etwas zu wohl in seiner Gesellschaft und begann alle Vorsicht zu vergessen. Natürlich war sie kein normaler Schutzengel, aber sie gehörte zu einer klei nen Gruppe von Wächtern, deren Aufgabe es war, sich um ihresgleichen zu kümmern. Und das möglichst bevor diese in Schwierigkeiten gerieten. Samjiel passte zweifellos in ihre Jobbeschreibung, aber er war gewiss der Letzte, der erfahren sollte, was ihr Job war.
Obwohl er nicht weiter auf ihre Bemerkung einging, was bestimmt auch daran lag, dass sie immer noch in diesem verdammten Taxi saßen, war sich Iris sicher, dass er ihren Ausrutscher nicht auf sich beruhen lassen würde.
Endlich hatten sie ihr Ziel erreicht. Der Fahrer sprang aus dem Wagen und riss ihre Tür auf, als wollte er sie hinauszerren. Stattdessen verbeugte er sich ungelenk und lehnte sogar das Geld ab, das Samjiel ihm reichte. Der zuckte nur mit den Schultern und drehte sich um.
Als Iris ihm folgte, hielt der Mann sie am Arm fest. »Pass gut auf dich auf! Der Kerl ist kein Umgang für ein junges Mädchen!«
»So ist es.« Sie schüttelte seine Hand ab und folgte Samjiel, der am Ufer der Newa stand und zur Petropawlowskaja Krepost , der Peter-und-Paul-Festung, hinüberblickte.
Kurz bevor sie ihn erreichte, drehte er sich um. »Und nun?« Seine Stimme klang müde.
»Es ist schön hier, nicht wahr?« Sie stellte sich neben ihn und kniff die Augen zusammen, als könnte
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