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Himmelsschwingen

Himmelsschwingen

Titel: Himmelsschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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verhindert, als er in seinem unkontrollierten Zustand ohnehin schon angerichtet haben mochte. Wenn er sofort handelte, würde sein Kontakt zu Iris unbemerkt bleiben. Zumindest hoffte er inständig, dass es so war.
    Leider gab es auch noch eine weitaus weniger attraktive Alternative. Michael könnte beschließen, an ihm ein Exempel zu statuieren, als Warnung für die anderen. Und wie er Luzifer kannte, wäre der gewiss nicht abgeneigt, in diesem Fall ausnahmsweise einmal mit seinem alten Weggefährten zusammenzuarbeiten und sich für den Ärger zu revanchieren, den Samjiel ihm in der Vergangenheit bereitet hatte. Die Strafen des Tantalos oder Tityos wären ganz bestimmt eine Wohltat im Vergleich zu dem, was sich der Lichtbringer für Samjiel, mit dem er einstmals sogar befreundet gewesen war, ausdenken würde.
    Schon war er aufgesprungen und aus dem Dachfenster gestiegen, um seinen Plan sofort in die Tat umzusetzen, ganz so, wie er es gewohnt war – da erklang eine weiche Stimme hinter ihm: »Sei nicht albern, du kannst fliegen!«
    Blitzschnell fuhr er herum und beobachtete für den Augenblick regungslos, wie Iris mit weit ausgebreiteten Armen und für jedermann sichtbar auf dem Dachfirst balancierte. Ihr kurzes Kleid blähte sich im Wind und zeigte mehr von der bunten Haut, als einem Mann bekömmlich sein konnte. »Bist du von allen guten Geistern verlassen?« Mit einem Satz war er bei ihr und nutzte seine Kräfte, um sie beide vor den Blicken der Menschen zu verbergen.
    »Warum? Glaubst du wirklich, die Miliz käme, bloß weil jemand anruft und behauptet, Leute trieben sich auf dem Dach herum?«
    Nein, das glaubte er nicht. Aber er hielt viel von der Vorschrift, die besagte, Engel sollten sich möglichst unauffällig zwischen den Bewohnern der Erde bewegen. Wäre es nach ihm gegangen, hätten selbst die Schutzengel weniger Befugnisse, sich in die Belange ihrer Protegés einzumischen. Oder in seine!
    Er warf dem Schutzengel einen finsteren Blick zu, der erstaunt von einem Balkon zu ihnen hinaufsah, und sprach in dessen Kopf: Wenn du jemandem hiervon erzählst, bist du Geschichte!
    »Jetzt hast du den armen Kerl erschreckt. Ob das klug war?«
    Wie konnte sie seine Handlungen infrage stellen? Ärgerlich wollte er sie zurechtweisen, aber als er sie ansah, verging ihm die Lust darauf, mit ihr zu streiten.
    An einen Schornstein gelehnt, blickte seine unmögliche Begleiterin dem Flüchtenden nachdenklich hinterher. »Irgendwo hab ich den schon mal gesehen.«
    »Willst du mir etwa weismachen, dass du sie auseinanderhalten kannst?«, fragte Samjiel.
    Lachend tanzte Iris über das Dach. Wie ein bunter Schmetterling, der sich keinen Deut darum schert, wohin ihn der Wind treibt, wenn nur Blumen um ihn herum blühen, von denen er zwischendurch ausreichend naschen darf.
    »Natürlich. Und du könntest es auch. Vorausgesetzt, du siehst genau hin!« Iris lief auf den Ziegeln entlang, dass es klapperte. Dann schlug sie ein Rad, als gelte die Schwerkraft für sie nicht, und verschwand mit einem Kopfsprung kichernd über die Dachkante.
    Er hätte schwören können, dass sie ihm dabei die Zunge herausgestreckt hatte. Gegen ihre Lebensfreude war selbst er nicht immun, und obendrein bekam er Lust, es ihr nachzutun. Ohne weitere Überlegungen öffnete er seine Schwingen, lehnte sich gegen die kräftige Brise, die vom Meer herüberwehte, und folgte ihr, bis sie sich auf einem anderen Haus niederließ.
    »Das musst du dir unbedingt ansehen!«
    Der Wirbelwind ließ ihm keine Zeit abzuwägen, ob er es riskieren konnte, seine Entscheidung hinauszu zögern.
    Als wären sie alte Freunde, schob Iris ihn durch eine Dachbodentür, die sie sorgfältig hinter sich verschloss. Halb flog sie, halb sprang sie die Treppen hinunter, Etage für Etage, zwei oder drei Stufen auf einmal nehmend, leichtfüßig und vollkommen lautlos. Was es auch war, das sie ihm zeigen wollte, es konnte offenbar nicht warten. Vor einer hohen Tür blieb sie stehen, bedeutete ihm näher zu kommen, drückte die Klinke hinunter und sah durch den Spalt. »Oh!«, hörte er sie hauchen, während sie sich weiter vorbeugte.
    Der Anblick ihres schmalen Rückens und des elegant geschwungenen Nackens hätte Samjiel beinahe dazu verführt, ein ähnliches Geräusch von sich zu geben. Rasch presste er die Lippen zusammen und lauschte.
    Klaviermusik wehte zu ihnen herüber, dazu ein eigenartiges Klopfen. Weil er nun wissen wollte, was sie zu diesem Laut verleitet hatte, stellte er sich

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