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Himmelsschwingen

Himmelsschwingen

Titel: Himmelsschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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hob die Hand. »… geht mich nichts an. Lass uns über etwas anderes sprechen.« Sie sah ihm direkt in die Augen. »Vorhin auf dem Dachfirst, da kamst du mir wie jemand vor, der einen endgültigen Entschluss gefasst hat. Nun sitzt du hier und trinkst.«
    Ohne zu blinzeln, erwiderte er ihren Blick. »Das, liebe Wächterin, geht dich wirklich nichts an.«
    Mit einem Ruck stand sie auf. »Wenn das so ist, dann wäre wohl alles gesagt.«
    Bevor sie davonstürmen konnte, hatte er sich über den Tisch gebeugt und hielt sie am Arm fest. »Bleib!«
    Was wie ein Befehl klingen sollte, kam Iris eher wie eine Bitte vor. Sie unterdrückte ein Lächeln und setzte sich, ohne den Blickkontakt auch nur für den Bruchteil einer Sekunde zu unterbrechen. Seine Hand glitt über ihren bloßen Arm. Vom Umgang mit dem Schwert fühlten sich die Finger rau an, die Berührung aber war leicht, gleichsam, als wollte er ihr damit sagen, dass sie den Kontakt jederzeit abbrechen könnte – auch wenn sie in seinem Gesicht zu lesen glaubte, dass er sich etwas anderes wünschte. Gebannt vom Anblick zahlloser Strudel in den nachtblauen Augen, die sie mit sich in die Tiefe einer Unendlichkeit zu reißen drohten, vergaß sie alles um sich herum. Es gab nur noch die magische Energie, die sich zwischen ihnen ausbreitete wie ein nicht mehr zu kontrollierender Flächenbrand. Ihr Feuer, genährt von einer ewigen Quelle, erwachte, und als wittere es sein Pendant in dem anderen, versuchte es, sich mit ihm zu vereinen.
    »Iris, hör auf!«
    Samjiels Stimme holte sie in die Realität zurück. Hastig, als hätte sie sich verbrannt, entzog sie ihm den Arm. Erschüttert ließ sie sich in den Sessel zurückfallen und griff nach ihrem Glas. Den dünnen Stiel zwischen den Fingern drehend, hielt sie es gegen das Licht, und dann, als wäre nichts gewesen, trank sie einen Schluck. Die dunkle Flüssigkeit nahm alles Feuer mit sich, doch das exzellente Getränk hinterließ nur den Geschmack bitterer Sägespäne in ihrem Mund. Und so klang auch ihre Stimme, als sie endlich sagte: »Ich war das nicht, Sam.«
    Er fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar, und sie konnte die Spuren sehen, die seine Finger darin hinterlassen hatten. Finger, die eben noch durch eine bloße Berührung ihr Feuer geweckt hatten. Kaum war der Gedanke aufgeflattert, hob das Engelsfeuer, dieses unberechenbare Wesen in ihrem Körper, erneut den Kopf, als wollte es fragen: Hast du mich gerufen?
    Doch Iris war nun vorgewarnt und zu erfahren, um ihm seinen Willen ein weiteres Mal zu lassen. So zog es sich zurück – allerdings nicht ohne ein geflüstertes Versprechen: Ich bin da, wenn du mich rufst!
    Samjiel schien ebenfalls im Dialog mit den in seinem Inneren tobenden Mächten zu sein – die Schatten, die dabei seine Züge verdunkelten, gaben ihm etwas Dämonisches. Schließlich fand er zu seiner glatten Fassade zurück und sah auf. »Was war das?« Nur die Präzision, mit der er diese drei Worte aussprach, verriet, dass er angespannter war, als er vorgab.
    »Das, mein lieber General , war die Versuchung, …«
    »… der wir beinahe erlegen wären«, ergänzte er ihre unausgesprochenen Worte. Nach dieser bedeutungsschweren Bemerkung versank er in Schweigen.
    Während sie ihn beobachtete, beglückwünschte sie sich selbst zur Wahl dieses Ortes. Hier auf dem Wasser war die Energie weniger aktiv, und eine tief in Samjiel verwurzelte Disziplin hatte darüber hinaus das Schlimmste verhindert. Von den anderen Gästen hatte ohnehin niemand bemerkt, was mit ihnen geschehen war.
    Trotz allem hatte er die Szene komplett abgeschirmt. Sie selbst besaß diese Disziplin nicht immer und war dafür mehr als einmal von Nephthys getadelt worden. Wäre ihre Chefin allerdings Zeugin der letzten Minuten geworden, hätte sie Iris sofort zurückbeordert. Von dem, was ihnen soeben widerfahren war, hatte nichts in ihrem Auftrag gestanden.
    Die Liste der Gefühle, die sie an Samjiel beobachtete, wuchs. Verwundert war er mehr als einmal gewesen, der Taxifahrer hatte seinen Ärger zu spüren bekommen, und vorhin, auf dem Dach, glaubte sie eine große Traurigkeit in ihm gelesen zu haben. Ob er sich wirklich hatte stellen wollen? Vielleicht. Die Unterwelt war voll von gefallenen Engeln aus dem Heer der Gerechten. Nicht auszudenken, was mit dem sensiblen Gleichgewicht von Licht und Schatten geschehen würde, sollte sich jemand wie der General auf die dunkle Seite schlagen. Er, das wusste sie aus berufener Quelle, besaß ein

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