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Himmelsschwingen

Himmelsschwingen

Titel: Himmelsschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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len, über die er jetzt lieber nicht nachdenken mochte. Und unschuldig ist sie. Daran bestand trotz ihres lästerlichen Mundwerks kein Zweifel, denn auf ihre Art konnte Nephthys, die Herrin der Wächter, ebenso gnadenlos sein wie der Erzengel, dem er diente. Die Gerechten, allen voran sein Chef, hätten gewiss erfahren, wäre es erlaubt gewesen, dass sich die Engel der Vigilie als einzige Bewohner Elysiums fröhlich durch die Betten wälzten.
    Bei diesem Gedanken lachte er bitter auf.Wie unendlich schwer es denjenigen unter ihnen fallen mochte, der Versuchung zu widerstehen, die ihr Herz und damit auch Gefühle besaßen, davon hatte er inzwischen zumindest den Hauch einer Ahnung.
    Samjiel griff nach einer halb leeren Flasche und drehte sie nachdenklich in den Händen. Er nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. Das Zeug taugte nicht einmal annähernd dazu, die Emotionen zu kontrollieren, die wie die Fontänen eines Geysirs in seinem Inneren sprudelten und in den unmöglichsten Augenblicken emporschossen, dass ihm schwindelig wurde.
    Anfangs hatte es noch geholfen, ja. Schon seit geraumer Zeit jedoch nicht mehr. Die Stunden in der Bar hätte er sich sparen können, ebenso wie das Geld, das er für dieses Gift im Supermarkt gelassen hatte. Auch so eine neue Erfahrung: Einkaufen.
    Noch nie zuvor war er in einem dieser Geschäfte gewesen, aus denen die Menschen neuerdings ihre Nahrung bezogen. Zuletzt hatte er auf einem Markt in Konstanz Verwendung für die wenigen Taler gehabt, die er bei sich trug, um notfalls unter den Menschen nicht aufzufallen. Einige Tage vor dem Konzil, wenn er sich richtig erinnerte. Dort hatte er ein Brot gekauft … und es natürlich nicht gegessen, sondern in einem unbeachteten Augenblick den herumstreunenden Kindern zugeworfen, die sich immer hungrig an den Ständen herumdrückten, wie Hunde oder die allgegenwärtigen Ratten. Im Gegensatz zu Nephthys, die ihren Wächtern erlaubte, sich mit allen Frivolitäten der Menschheit auszustatten, hielt Michael seine Armee kurz, Luxus war ihnen fremd, und bisher hatte Samjiel ihn nie vermisst.
    Allerdings war er auch noch niemals zuvor auf einem vergleichbar bequemen Lager erwacht wie heute. Wenn er sich konzentrierte, dann kehrte die Erinnerung an den Duft zurück, der ihn wie ein warmer Sommertag auf dem Land umfing. Sie roch nach reifem Korn, nach Blumen, die sich im Wind wiegten, und nach goldgelbem Honig. Das Entzücken kam ihm in den Sinn, mit dem sie die Früchte gekostet hatte, und dass der Tropfen, den er aus ihrem Mundwinkel gestohlen hatte, ihm köstlicher vorgekommen war als Ambrosia.
    So viele Male hatte er die Anzeichen schon gesehen, und das Wissen lag tief in seiner Seele verankert: Mit den Gefühlen kam unweigerlich der Sturz eines jeden Engels. »Ich bin wahrhaftig verdammt!«, flüsterte er. »Und wenn ich nicht aufpasse, reiße ich Iris ebenfalls in den Abgrund.«
    Die Vorstellung, mit ihr gemeinsam die Reise in die Unterwelt anzutreten, bekam für einen kurzen Augenblick etwas ungemein Tröstliches. Doch sofort legte sich Furcht wie ein eisiger Schleier über ihn – hatte nun zu allem Unglück die Selbstsucht Besitz von ihm ergriffen?
    Das Beste wäre es zweifellos, gleich zu Michael zu gehen, wie er es längst getan hätte, wäre Iris nicht aufge taucht. Seither war das Tohuwabohu in seinem Leben noch größer geworden.
    Hast du überhaupt gelebt, bevor deine Gefühle erwacht sind? , fragte eine ketzerische Stimme in seinem Inneren.
    Von der hatte er auch die Nase voll. Ständig stellte sie Fragen, wog ab und schien über jeden Schritt, den er unternahm, diskutieren zu wollen. Früher hatte es das nicht gegeben. Man tat, was getan werden musste, und niemals hatten ihn dabei Zweifel geplagt. Damit musste es ein Ende haben! Als Befehlshaber einer Armee durfte er keine Unsicherheiten zeigen. Der Alkohol brannte in seiner Kehle, während er die Flasche leerte. Ärgerlich warf er sie an die Wand, wo das Glas in Tausende Splitter zerbarst, die den Raum mit ihrem Glitzern schmückten.
    Der Erzengel war seine einzige Hoffnung zu beenden, was ansonsten unweigerlich in unkontrollierbares Chaos münden würde. Mit etwas Glück würde es schnell gehen, und niemand musste von den genauen Umständen seines Endes erfahren. Michael sprach nie mehr als notwendig. Er würde sein Schwert nehmen, es Samjiel in die Brust stoßen und ihn ein für alle Mal erlösen. Damit wäre wenigstens ein noch größerer Schaden für die Sache der Gerechten

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