Himmelsschwingen
er geflogen war. »Hoffentlich komme ich nicht zu spät!«
Und hoffentlich haben wir uns nicht in ihm getäuscht. Unten in der Wohnung sah ihr Gabriel lange nach, bevor er die Balkontür schloss. »Der Himmel bewahre uns vor den Liebenden.«
Bevor er endgültig abzutreten gedachte, würde er diese Angelegenheit noch in Ordnung bringen. Für Iris.
Nun sah Samjiel in drei Augenpaare. Galina blickte ebenso angstvoll, wie es jeder gefallene Engel tat, dem er die Zeit dazu ließ; Miljena, die seinem Blick auszuweichen versuchte, und Aljoscha, der erfolglose Taschendieb, der verstört von einem zum anderen sah.
»Wenn ihr die Stadt nicht auf der Stelle verlasst, kann euch niemand mehr helfen!«
»Und warum sollen wir ausgerechnet dir glauben, Dämon?« Galinas Stimme klang fest. Doch es gelang ihr nicht, ihm etwas vorzumachen, sie litt Todesängste.
Seine wahre Identität wollte er nicht enthüllen, beruhigender wäre es ohnehin nicht gewesen. Je weniger von seinem Problem wussten, desto besser. Ihre Furcht vor den Dunklen Engeln Luzifers bestärkte ihn in seiner Entscheidung, sie zur Flucht zu bewegen. Es sollte am Ende niemand über ihn sagen, er hätte nichts dazugelernt.
»Mama, wenn er es gewollt hätte, wäre ich längst tot«, sagte Miljena eindringlich. Und das stimmte natürlich. Dennoch verstand Samjiel nicht, warum sich das Mädchen auf seine Seite schlug, und die Art, wie sie ihn anhimmelte, als sei er ein Popstar, fand er geradewegs beunruhigend.
Gestern, nach Gabriels Hinweis, dass sie beobachtet wurden, hatte er die Kleine auf dem Gerüst entdeckt und der Einfachheit halber nach Hause geflogen, bevor jemand anderes ihre Situation ausnutzen konnte. Dieser Flug war es offenbar gewesen, der dazu geführt hatte, dass sie ihn heute mit neuen Augen sah. Als sie vorhin die Tür geöffnet und ihn erkannt hatte, war sie ihm um den Hals gefallen und hatte sich stürmisch für die schönsten Augenblicke in ihrem Leben bedankt. Etwas, das ihre Mutter auch nicht eben für ihn einnahm.
Galina wollte erst nicht glauben, dass Miljena mit Samjiel nur geflogen war, und bezichtigte ihn, ihr Kind mit seiner dunklen Magie zu manipulieren. Das Fliegen war ein großes Thema zwischen den beiden, hatte Samjiel aus der hitzigen Diskussion heraushören können, während der er beinahe vergessen mitten in der winzigen Hütte gestanden hatte, nur bewacht von einem kleinen Jungen und seinem großen Messer. Aus dem Streit die richtigen Schlüsse zu ziehen, war nicht schwierig. Miljena träumte davon, einmal zu fliegen wie ein Engel. Nichts ahnend hatte er ihr den Traum beinahe erfüllt und damit anscheinend ihr Herz erobert.
Diese neue Sympathie war ein bisschen überraschend für ihn. Wann immer er sie in den vergangenen Wochen beobachtet hatte, waren Furcht und Anspannung spürbar gewesen. Erfahrung hatte er mit Teenagern zwar keine, doch immerhin wusste er, dass sie ausgesprochen enthusiastisch sein konnten und zuweilen dazu neigten, zum Spielball ihrer Gefühle zu werden.
Fast wie ich , dachte Samjiel und hatte Mühe, sein selbstironisches Grinsen zu verbergen. Vielleicht deshalb nahm er ihre Bewunderung gelassen hin, blieb aber auf der Hut. Was auf den ersten Blick naiv wirkte, konnte ebenso gut eine Überlebensstrategie sein.
»Miljena, bist du verrückt geworden? Nur weil jemand ein hübsches Gesicht hat und eine Runde mit dir fliegt, darfst du ihm nicht trauen.«
Ein hübsches Gesicht? Und was ist mit dem Rest? , flüsterte Samjiels neue innere Stimme unverschämt.
»Er hat die dunklen Männer vertrieben«, piepste der kleine Aljoscha und steckte sein Messer weg. Offenbar wollte nun auch er die Seiten wechseln.
Erstaunt betrachtete Samjiel ihn zum ersten Mal genauer. Es fiel ihm nicht schwer, die kindlichen Gedanken zu lesen. Der Bengel hatte tatsächlich gesehen, wie Sam jiel, der wenig Sympathie für die ortsansässigen Schutz geld erpresser aufbrachte, die Kerle kurzerhand buchstäblich zum Teufel geschickt hatte. Nicht zu bemerken, dass er dabei von einem Kind beobachtet wurde, war eine unverzeihliche Nachlässigkeit.
»Ist das wahr?« Galina schwankte und hielt sich am Küchentisch fest. »Dann schicken sie neue, noch üblere. Wie konntest du das nur tun?« Totenbleich sah sie ihn vorwurfsvoll an. »Aber was frage ich, du bist ein Dämon. Es macht dir Spaß, uns zu quälen, nicht wahr?« Und ehe er widersprechen konnte, stürzte sie zu Boden.
»Mama!« Miljena fiel neben ihr auf die Knie. »Aljoscha,
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