Himmelsschwingen
die Stirn. »Wie es ist, geliebt zu werden, sollte ich ihm zeigen.«
Gabriel sah sie ungläubig an. »Und zur Strafe hast du ihn praktisch wehrlos gemacht?«
»Natürlich nicht!« Am liebsten hätte sie ihm die Augen ausgekratzt.
»Aha.«
»Ich hatte es einfach nicht mehr unter Kontrolle«, gab sie schließlich zu. »Und er …« Sie glaubte immer noch seine Hände zu spüren, als sie sich daran erinnerte, mit welcher Hingabe er sie verwöhnt hatte, als könnte er ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen. »Wenn ich ihm gezeigt hätte, was Leidenschaft bedeutet, wäre er endgültig verdammt gewesen.« Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und sagte leise: »Ich weiß doch selbst nicht, wie es sich anfühlt, von jemandem geliebt zu werden.«
»Du irrst dich.«
Nicht sicher, ob er das tatsächlich gesagt oder ob sie es sich einfach nur eingebildet hatte, fragte sie: »Bitte?«
»Willst du mir etwa erzählen, du weißt nicht, was Nephthys für dich empfindet? Sie liebt uns alle.«
»Das kann sie aber geschickt verbergen.« Ihre Chefin konnte kälter sein als ein Ozean voller Flüssigstickstoff.
»Guter Vergleich.« Gabriel grinste. Er hatte die unangenehme Angewohnheit, ihre Gedanken zu lesen, wenn es ihm gefiel, und er war geschickt darin, was er auch genau wusste. »Sie lässt keinen von uns im Stich, oder hast du das schon mal erlebt?«
Das hatte sie nicht, und es war immer ein beruhigendes Gefühl, einen zuverlässigen Rückhalt zu haben, besonders in heiklen Situationen. »Das ist keine Liebe, wie ich sie meine.«
»Ich verstehe, dir fehlt die Romantik, oder soll ich sagen: Erotik ?« Kopfschüttelnd umrundete er sie einmal. »Du willst mir doch nicht wirklich erzählen, dass dieser herrliche Körper noch nie …«
»Es ist verboten!«
»Ja und?«
»Es. Ist. Verboten!«, sagte sie noch einmal mit Nachdruck.
»Ich weiß. Es sei denn«, er schrieb mit den Finger Zeichen in die Luft, die wie Anführungszeichen aussehen sollten, »es dient einem wichtigen Zweck.« Augenrollend näherte er sich ihr, bis sie versucht war, einen Schritt zurückzuweichen. »Sex dient immer einem Zweck. Ob der wichtig ist oder nicht, das können nur die Beteiligten entscheiden. Zweifellos wünscht Nephthys nicht, dass wir uns hirnlos mit jedem Dahergelaufenen im Heu herumrollen, aber gegen die Liebe hat sie nichts einzuwenden. Das garantiere ich dir.«
»Das wusste ich nicht.« Iris schlug die Hände vors Gesicht.
»Im Ernst? Na ja, es wird nicht gerade in der Heavenly Post verbreitet«, gab er zu. »Was für ein Schlamassel.«
»Und nun?« Inbrünstig betete sie, dass er ihr eine Lösung präsentierte und danach alles gut werden würde. Wunder dieser Art hatte sie aber leider noch nie erlebt – warum sollte es also dieses Mal eine einfache Lösung geben?
»Noch ist nichts verloren«, mischte sich Gabriel in ihre Überlegungen ein.
»Meinst du?«
»Dein Auftrag ist doch eindeutig. Du solltest den General davon überzeugen, dass Gefühle zu haben nicht zu den Todsünden gehört.«
»Und davon abhalten, sich freiwillig zu stellen oder gar von der Gegenseite rekrutieren zu lassen, sollte ich ihn auch«, ergänzte sie seinen Satz. »Gut, dass wenigstens du die genaue Jobbeschreibung kennst.«
»Genau«, sagte er und klang dabei leicht irritiert. »Soweit bist du im Plan.«
Hoffnung regte sich in ihr, sie sah ihn erwartungsvoll an.
»Dass du nebenher noch dieses Mädchen aufgehalst bekommen hast«, fuhr Gabriel fort, »habe ich gleich für übertrieben gehalten, aber wie du weißt, sind wir derzeit einfach ein bisschen knapp an guten Leuten.«
»Wenn du das sagst.«
»Nephthys hat wieder eines ihrer Rätselspielchen veranstaltet?« Er schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, sie würde das lassen …« Ganz kurz schloss er die Lider und atmete dabei so tief aus, dass man es für einen Seufzer halten konnte. Doch sofort strafften sich seine Schultern wieder. »Also los! Finde ihn so schnell wie möglich und gib ihm das Feuer zurück. Was es auch kostet – du musst ihn überzeugen …« Hier verstummte er und tat etwas noch nie Dagewesenes: Beinahe zärtlich nahm er ihr Gesicht zwi schen die Handflächen und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Leg dich nicht mit Michael an. Versprich mir das, ja?«
»Ja, ja!«, versicherte sie ihm über die Schulter hinweg, mit den Gedanken schon weit fort. Schnell lief sie zum Balkon, denn plötzlich wusste sie auch ohne Samjiels Feder als Kompass befragen zu müssen, wohin
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