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Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer

Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer

Titel: Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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ausgespien hatte.
    Es war für Marie schlicht eine Frage des Überlebens, möglichst rasch geheiratet zu werden. Die Schwierigkeit war nur die, dass im England jener Jahre, das von einem Krieg in den nächsten taumelte und mit Waffengewalt das mächtigste Kolonialreich der Welt zusammenhielt, dramatischer Männermangel herrschte. Die Volkszählung 1851 ermittelte 1,4 Millionen ledige Frauen in Maries Alter, und von sämtlichen Frauen in England und Wales waren fünfundvierzig Prozent unverheiratet. Die Konkurrenz war also groß; es wäre äußerst leichtsinnig gewesen, Frederick Manning die kalte Schulter zu zeigen und auf ein besseres Angebot zu warten.
    Aber ein Fehler war die Heirat trotzdem.
    Wie sich rasch herausstellte, war Frederick nicht nur ein träger, dumpfer Trunkenbold, sondern hatte auch einen zwielichtigen Freundeskreis. Man wird nie wissen, ob Marie darüber Bescheid wusste, ob sie vielleicht gar als treibende Kraft dahintersteckte – jedenfalls ereignete sich auf den Great Western Railways, auf denen Frederick als Sicherheitsbeamter Dienst tat, in den Monaten nach ihrer Hochzeit eine Reihe von Diebstählen und Postrauben, in denen Goldmünzen, Schecks und Banknoten trotz scharfer Bewachung aus den Postwagen verschwanden. Manning wurde als Eisenbahnwächter fristlos entlassen, entging aber einer Anklage, weil gegen ihn keine Beweise vorlagen; zwei seiner besten Freunde hingegen wurden überführt und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die Zeitungen schrieben später, die Polizei habe den entscheidenden Tipp von der Ehefrau eines Bandenmitglieds erhalten, die mit der Aufteilung der Beute nicht einverstanden gewesen sei.
    Um sich einen respektablen Lebensunterhalt zu sichern, eröffneten Marie und Frederick Manning in Taunton eine Bierkneipe, das White Hart. Aber die Geschäfte liefen schlecht. Erstens war der frischgebackene Wirt der beste Kunde seiner Kneipe, und zweitens überließ er alle Arbeit seiner Frau, die sich für ihr Leben doch etwas anderes erträumt hatte als endloses Gezänk mit Betrunkenen und täglichen Reinigungsdienst in den Latrinen. Bald kam es zu schrecklichen häuslichen Szenen, in deren Verlauf Marie auf Französisch schimpfte und ihren Gatten laut Zeitungsberichten gelegentlich auch mit einem langen Messer vor sich herjagte. Dieser setzte sich zur Wehr, indem er Zuflucht bei Frauenzimmern von zweifelhaftem Ruf suchte.
    In dieser Lage war es für Marie ein Trost, dass ihr alter Bewunderer O’Connor sich wieder meldete.«Wie grausam hast Du an mir gehandelt!», schrieb er in einem Brief vom 11. Juni 1847, der später vor Gericht verlesen wurde.«Dir zuliebe hatte ich mich von meinen Freunden losgesagt und allen gesellschaftlichen Verkehr eingestellt, um mein Vermögen beisammenzuhalten und mit Dir ein glückliches und sorgloses Leben zu führen bis ans Ende unserer Tage.»Er habe ihre Hochzeit für den 6. August fest eingeplant gehabt, behauptete O’Connor nun, da er sicher sein konnte, sein Versprechen nicht mehr einlösen zu müssen, und einen Monat Ferien für die anschließenden Flitterwochen habe er auch schon beantragt. Alles nur Menschenmögliche habe er unternommen, um das eine Wesen auf dem Angesicht der Erde zu heiraten, das allein ihn glücklich machen könne -«Ach Maria!», endet der Brief,«könntest Du nur die Gefühle meines Herzens lesen! Du würdest nicht tun, was Du tust.»
    Dass Marie auch nur ein Wort glaubte, ist nicht anzunehmen. Natürlich wäre es ihre Pflicht als verheiratete Frau gewesen, den Kontakt mit dem väterlichen Beschützer endgültig abzubrechen. Andererseits konnte sie guten Gewissens die Ansicht vertreten, dass der nichtsnutzige Ehemann so viel Rücksichtnahme nicht verdiente und sie sich als schutzlose Frau nicht den Luxus leisten konnte, die lebenslange Großzügigkeit eines wohlhabenden Mannes zurückzuweisen.
    Nach einem besonders schlimmen Streit bestieg Marie die Bahn und fuhr nach London, in die Arme Patrick O’Connors. Eine Weile lebten die beiden als Ehepaar Johnson in der Queen Street im ärmlichen Stadtteil Bermondsey, dann kehrte Marie zurück an die Seite des legalen Ehemanns und ins White Hart. Einige Wochen später aber floh sie erneut, diesmal unter Mitnahme des Kasseninhalts und des Tafelsilbers, worauf Frederick Manning den ehelichen Herd ebenfalls verließ und Zuflucht bei einer seiner vielen«Lady Friends»fand.
    So reihte sich ein Drama ans nächste, und im zweiten Ehejahr war das White Hart bankrott und das Liebestrio

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