Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
geworden, wie die Einmarschmusik eines Boxers.
Schauspielern muss ich zum Glück nicht mehr. Der große Test in Brooks rückt näher und somit auch meine drei Fünf-Stunden-Tests. Schon der erste ist irrsinnig interessant. Es geht um technische Dinge, um Sauerstoff und Stickstoff. Wenn ich in der Kapsel ausatme, habe ich in meiner Ausatemluft noch sehr viel Sauerstoff, das heißt, ich reichere die Kapsel mit Sauerstoff an. Wenn die Sauerstoffsättigung dort aber die Marke von 28 Prozent überschreitet, besteht die potenzielle Gefahr eines Feuers. Wenn du einen elektrischen Schalter umlegst, kann ein kleiner Blitz entstehen, und der könnte die Kapsel in Brand setzen. Das ist damals mit der Apollo 1 auch passiert: Die Kapsel der drei Astronauten war mit 100 Prozent Sauerstoff gefüllt, sie haben den ersten Schalter umgelegt, es gab einen kleinen Funken, und schon hat die Kapsel gebrannt. Alle drei sind nicht mehr rausgekommen und auf der Startrampe am Boden verbrannt.
Deswegen ist bei unseren Tests immer wichtig, dass wir unter 28 Prozent Sättigung bleiben. Wir haben sogar eine eigene Anzeige in der Kapsel. Wenn der Zeiger auf 27 raufgeht, drehe ich den Stickstoff auf, um den Sauerstoffgehalt wieder zu drücken. Bei diesem Fünf-Stunden-Dauertest ist der Stickstoff gleichzeitig auch dafür da, den Anzug zu kühlen. Dabei haben wir gemerkt, dass die Stickstoffreserve wahrscheinlich für die fünf Stunden nicht reichen wird. Wenn der Stickstoff ausgeht, kann ich erstens den Anzug nicht mehr kühlen, und zweitens geht der Sauerstoffgehalt über 28 Prozent. Während des Tests sehe ich dann, dass es knapp wird, und versuche, den Stickstoff für die Anzugkühlung komplett zurückzudrehen. Ich muss ständig hier und da schauen, muss rechnen und checken – und komme überhaupt nicht zum Überlegen, wie lange ich schon im Anzug stecke. Die fünf Stunden vergehen wie im Flug. Richie steht schon draußen vor der Kapsel mit dem Bier in der Hand. War für eine Freude! Fünf Stunden mit dem Anzug in der Kapsel! Nachdem ich geglaubt hatte, das Projekt sei vorbei. Nachdem keiner mehr an mich geglaubt hatte. Nachdem alle auf der anderen Seite des Tisches saßen. Im Nachhinein versteht man die Freude gar nicht mehr so. Es ist ja noch nicht mal ein Testsprung, wir sind ja noch am Boden! Aber am Boden war es nun mal der wichtigste Test, und der war wie ein Sprung für uns und für mich.
Andererseits will mir ein Gedanke nicht aus dem Kopf gehen: Hoffentlich gibt es keinen Rückfall. Es ist ein Problem, das vom Kopf herrührt, und woher soll ich wissen, ob einem der Kopf nicht wieder einen Streich spielt. Auch Raucher und Trinker werden rückfällig, obwohl sie ein Jahr lang nichts mehr geraucht oder getrunken haben. Aus irgendeinem Grund fangen sie doch wieder an. Diese Gefahr ist da, bis zum Ende des Projekts, das ist mir klar.
Im Moment läuft mein Training mit Andy und Mike so gut, dass ich vor dem großen Brooks-Test sogar noch mal kurz nach Österreich fliegen kann. Als ich mit Richie in Salzburg zusammensitze, klingelt abends das Telefon, Christopher Reindl von Red Bull ist dran: »Kommst du mal vorbei? Wir müssen reden.« Wir treffen uns im Red-Bull-Media-House, Christopher hat keine guten Nachrichten für mich: »Wir sind verklagt worden und müssen das Projekt vorerst stoppen. Wir brauchen zuerst rechtliche Sicherheit.« Ich sitze da und höre mich sagen: »Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?« Aber Christopher scherzt nicht: »Wir wissen seit einer Woche, dass wir den Stecker ziehen. Ich wollte es dir nur nicht früher sagen, weil du ja noch diesen großen Abschlusstest hattest und wir nicht wussten, wie es ausgeht für dich. Wir mussten erst sicher wissen: Kann es der Felix? Wenn ja, können wir diesen Rechtsstreit angehen. Kann er es nicht, dann lassen wir sowieso die Finger von der Sache, dann brauchen wir nicht dafür zu kämpfen. Es ist mit Dietrich Mateschitz alles besprochen. Wir legen das Projekt auf Eis, und wir treiben auch die Entwicklung nicht weiter voran.«
Christopher meint, der Rechtsstreit könne sich ganz schön in die Länge ziehen: im besten Fall ein Jahr, im schlimmsten fünf. Können wir das Projekt fünf Jahre auf Stand-by halten? In fünf Jahren bin ich 48. Ich frage ihn: »Was wird jetzt von mir erwartet?« Christopher antwortet: »Nichts. Vielleicht arbeitest du in der Zwischenzeit an deiner Karriere als Helikopterpilot weiter.«
Ich gehe raus, steige ins Auto und fahre zweieinhalb Stunden
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