Himmelssucher - Roman
Sonny ist Psychiater an der medizinischen Fakultät«, sagte Vater. »Nathan und ich arbeiten am Krankenhaus zusammen.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte Sonny und streckte die Hand aus.
»Ebenfalls.«
»Sonny hat mir gerade eine Horrorgeschichte über einige Pakistanis in der Stadt erzählt«, sagte Vater und drehte mit seiner Zange einige Hühnchenteile auf dem Grill um. »Sie mögen Mr. Buledi nicht besonders …«
»Ich könnte damit leben«, sagte Sonny, »wenn sie meine Kinder nicht so behandeln würden. Vor ein paar Wochen waren wir zu einem Essen eingeladen, für die medizinische Fakultät … die Naqvis waren da …«
»Anil Naqvi, der Anästhesist«, merkte Vater für Nathan an. »Du kennst ihn, oder?«
»Vom Sehen.«
»Und die Kinder der Naqvis haben Satya und Otto ›Zebras‹ genannt. Weil ihre Mutter weiß und ich ein Pakistani bin. Ist das zu glauben?«
»Natürlich ist das zu glauben«, sagte Vater. »Den ganzen Tag beten. Und sich nicht daran halten. Allesamt Scheinheilige.«
Das letzte Wort ließ er sich auf der Zunge zergehen und stach dabei in das Fleisch auf dem Grill.
»Was heißt das, Dad?«, fragte ich.
»Was? Scheinheiliger?«
Ich nickte. Ich hatte es so oft aus seinem Mund gehört.
Vater deutete mit der Zange auf mich. »Wenn jemand tut, als wäre er jemand ganz anderes, das ist ein Scheinheiliger. Wie Chatha – tut so, als wäre er ein guter Muslim, aber in Wirklichkeit hat er für andere nur Gehässigkeit übrig.«
Sonny nickte. »Apropos Gehässigkeit, weißt du, was Otto mir erzählt hat? Eines von den Naqvi-Kindern hat herumgetönt, wie man eine Kirche in die Luft sprengen könnte, wenn man sie mit Benzin füllt und ein Streichholz dranhält.«
» Was? « Diesmal war Vater wirklich fassungslos.
»So lautet die Botschaft, die die Naqvis ihren Kindern mit auf den Weg geben. Kirchen sollen zerstört werden, weil Christen Kafirsind. Ich bin fuchsteufelswild geworden, als ich das Wort aus Ottos Mund gehört habe.«
»Abstoßend«, murmelte Vater.
»Was heißt Kafir?«, fragte Nathan und sah erneut zur Terrasse.
»Ungläubige«, antwortete Vater.
»Da bleibt einem doch gar nichts anderes übrig, als ihnen zu sagen, dass man Atheist ist«, sagte Sonny. »Um zu verhindern, dass sie einem zu nahe kommen. Man muss sie sich so weit wie möglich vom Leib halten.«
Es war nicht das erste Mal, dass ich Sonny sagen hörte, er sei Atheist. Aber an diesem Nachmittag glaubte ich zum ersten Mal zu verstehen, was es wirklich bedeutete. Nicht nur, dass er nicht an Gott glaubte, sondern auch – und das war fast ebenso wichtig –, dass das Leben nicht mehr beinhaltete als das, was im Hier und Jetzt erfahren werden konnte. Denn wenn es keinen Gott gab, dann gab es auch kein Leben nach dem Tod. Und wenn ich aus meinen Koranstudien eines gelernt hatte, dann, dass die Strafe für den, der nicht an das Leben nach dem Tod glaubte, grässlich war:
Wenn die Posaune erschallt,
Wird dieser Tag für den Ungläubigen ein Tag
des Kummers sein …
Ich will ihn mit schwerer Not heimsuchen,
Weil er Lügen erdichtet und vorbereitet hat!
Verflucht sei er …
Denn hochmutsvoll spricht er: »Dies, der Koran,
ist nichts anderes als Betrug,
Nichts anderes als Worte eines Menschen!«
Aber ich will ihn in das Höllenfeuer hinabstoßen,
damit er verbrenne.
Und was lehrt dich begreifen, was die Hölle ist?
Sie lässt nichts übrig und unverzehrt.
Sie verbrennt das Fleisch des Menschen.
Zutiefst aufgewühlt betrachtete ich Sonny. Nichts in seinem runden, freundlichen Gesicht – oder in seinen warmen, intelligenten Augen hinter seiner Drahtgestellbrille – konnte erklären, wie ein so liebenswerter Mensch zu einer so außergewöhnlichen und unglückseligen Schlussfolgerung gelangt sein konnte.
»Wie lange lässt du die Schenkel drauf?«, fragte Sonny meinen Vater.
»Na, endlich ein Thema, über das sich zu reden lohnt … Hängt von der Hitze ab. In dem Fall so an die vier Minuten pro Seite. Auf keinen Fall zu lang. Sonst werden sie trocken.« Vater griff sich mit der Zange eines der Hühnerteile. »Ist noch rosa am Knochen. Zwei Minuten noch.« Er sah zu Nathan. »Was ist denn dort drüben los, Chief? Du machst ja einen ganz verstörten Eindruck.«
»Verstört?«, fragte Nathan und riss sich abrupt von der Terrasse los. »Nein … ich genieße nur den Nachmittag.«
»Du genießt den Nachmittag?«, wiederholte Vater verdutzt. Daraufhin sah er selbst zur Terrasse, auf der sich die gickelnde
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