Himmelssucher - Roman
würde er Frikadellen in der Pfanne wenden. »Er wird sie braten, wie sie ihre Fische braten bei ihren freitäglichen Fischessen, die ihre Kirche immer organisiert!« Und wenn Chathas Abscheu vor den Ungläubigen nicht ausreichte, um Vater gegen sich aufzubringen, dann gab es noch die Tatsache, dass Chatha seine Frau Najat – die an der Universität studiert hatte – zwang, in der Öffentlichkeit eine Burka zu tragen und ihr Gesicht vollständig zu verhüllen.
»Ich weiß, du magst ihn nicht«, sagte Mutter, die nun etwas zurückruderte, als Vater sie finster anstarrte. »Aber du sagst doch immer, dass man sich auf die ›politischen Spielchen‹ einlassen muss, wenn man Erfolg haben will … Vielleicht solltest du deinen eigenen Rat beherzigen und mal über deinen Schatten springen. Über ihn kannst du ja sagen, was du willst, aber Najatist eine ganz wunderbare Frau.«
»Wunderbar? Woher willst du das wissen? Weißt du überhaupt, wie sie aussieht?«
»Natürlich weiß ich, wie sie aussieht.«
»Dann bist du eine der wenigen«, erwiderte Vater. »Wie barbarisch«, murmelte er und wandte sich wieder seiner Lektüre zu.
»Wer ist Chatha?«, fragte Mina.
»Der Apotheker, von dem ich dir erzählt habe«, sagte Mutter. »Der mit dem geschiedenen Vetter. Du erinnerst dich?«
Mina schien sich nicht zu erinnern.
»Der, dessen Frau mit einem Amerikaner durchgebrannt ist.«
»Oh«, sagte Mina.
»Ein Scheinheiliger, das ist er«, sagte Vater.
»Was immer er ist oder nicht ist, Chatha hat jedenfalls das Sagen in der Gemeinde«, sagte Mutter. »Kein Wunder, dass wir keine Freunde aus der Heimat haben. Wir haben uns nie um sie gekümmert.«
»Mach, was du willst. Lade sie selber ein. Dazu brauchst du mich nicht.«
Mutter sah zu Mina, dann zu mir. Sie wirkte überrascht und zufrieden: Vater hatte unerwartet nachgegeben. Nach einer Pause aber begann sie erneut, diesmal mit zuckersüßer Stimme: »Aber wenn du anrufst, Naveed … dann werden sie die Welt nicht mehr verstehen. Dr. Shah lädt uns zum Barbecue ein? Das dürfen wir uns nicht entgehen lassen! «
»Auf keinen Fall, Muneer. Diese Leute mögen mich nicht. Und dich auch nicht , wenn wir schon dabei sind …«
»Mag ja sein, dass sie dich nicht mögen , aber sie bewundern dich. Jeder. Sogar Chatha. Du bist der Intelligenteste hier. Und das wissen sie.« Es klang seltsam, wenn Mutter Vater schmeichelte, aber sie musste gewusst haben, was sie tat. Vater wurde sichtlich versöhnlicher.
»Gut«, gab er schließlich nach. »Ich werde sie anrufen.«
Strahlend wandte sich Mutter an Mina. »Und du auch. Lade deine Freundinnen aus dem Salon ein.« Mutter meinte damit den Salon, in dem Mina mittlerweile vier Tage in der Woche arbeitete und damit bereits genügend Geld verdient hatte, um sich einen gebrauchten Dodge zu kaufen.
»Ich werde Adrienne einladen.«
»Ist das die Dicke?«
»Bhaj «, rügte Mina. »Sie ist ein netter Mensch. Sie sagt nur Nettes über dich.«
Mutter grinste. Hätte sie gewusst, dass Adrienne nur Nettes über sie sagte, hätte sie sich ihren Kommentar vielleicht verkniffen und ihn sich nur gedacht – das schien ihre sorglose Miene jedenfalls anzudeuten. »Gut, frag auch deine anderen Freundinnen … nicht nur Adrienne.« Mutter wandte sich wieder an Vater. »Und lade auf jeden Fall Nathan ein.«
Vater grummelte Unverständliches.
»Hast du mich gehört, Naveed?«
»Wie hätte ich dich nicht hören sollen?«, brummte Vater. »Ich habe doch schon gesagt, dass ich ihn einladen werde.«
»Du machst das auch?«
»Wenn ich dran denke.«
»Er ist so ein sanfter, kluger Mensch! Warum schneidest du dir nicht mal eine Scheibe von ihm ab, Naveed?«
»Muneer …«, kam es scharf von Vater.
»Ich geh ja schon, ich geh ja schon«, sagte Mutter begütigend, erhob sich vom Tisch und sah zur Uhr über dem Herd. »Halb acht«, murmelte sie. »Da kann man noch ein paar Anrufe machen.«
Und damit ging sie.
An Nathan Wolfsohn verblüffte mich immer am meisten, dass er niemals so klein erschien, wie er in Wirklichkeit war. Neben meinem Vater – der groß war, breitschultrig und muskulös, Eigenschaften, zu denen sich Mutter nach eigenem Bekunden immer hingezogen gefühlt hatte – hätte Nathan mit seinen knapp über einen Meter fünfundsechzig, seinen schmalen Schultern, dem kleinen Kopf und den wuscheligen, rötlich-blonden Haaren wie ein Zwerg anmuten müssen. Aber so war es nicht. Von Natur aus freundlich und aufgeschlossen, wovon schon das
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