Himmelssucher - Roman
Büchern im Allgemeinen und von Romanen im Besonderen. Aber egal, wie man die Behauptung auch auffassen wollte, eines erklärte sie nicht: Wie schaffte man es, kein einziges Buch gelesen, aber insgesamt fünfzehn davon herausgegeben oder zu ihnen beigetragen zu haben?
Wie immer wusste Nathan sehr genau, wie er mit solchem Klamauk umzugehen hatte. Jedesmal, wenn Vater damit anfing, gab Nathan zurück:
»Blödsinn, Naveed. Dein Büro ist voller Bücher. Das kauf ich dir nie und nimmer ab.«
Früher oder später knickte Vater ein, aber immer mit einem hintersinnigen Lächeln; es machte ihm einfach zu großen Spaß, die Wahrheit zu verbiegen. »Ich habe einzelne Artikel gelesen, Nate. Und Kapitel. Ich habe gelesen, was ich lesen musste« – und jetzt lachte er wie ein kleiner Junge – »aber ich war nie so blöd, ein ganzes Buch von der ersten bis zur letzten Seite durchzulesen!«
Vater tätigte wie versprochen die Anrufe, nur um zu erfahren, dass Ghaleb Chatha an ebendiesem Samstag eine Wohltätigkeitsveranstaltung angesetzt hatte, deren Erlös dem Islamischen Zentrum in der South Side zugute kommen sollte. Was hieß, dass die meisten anderen, von Mutter erwähnten pakistanischen Familien ebenfalls nicht zu unserem Barbecue kommen würden. Vater war über diese Entwicklung überaus erfreut.
So blieb nur eine pakistanische oder zumindest halb pakistanische Familie übrig. Die Buledis waren von Chatha nicht eingeladen worden. Sonny Buledi, ein in Karatschi geborener Psychiater, wurde von der hiesigen pakistanischen Gemeinschaft geschnitten. Seine österreichische Frau Katharina hatte sich mehr als ein paar Feinde gemacht, als sie bei offiziellen Veranstaltungen in ärmellosen Blusen und knielangen Röcken auftauchte und auch kein Geheimnis daraus machte, dass sie ihren Kindern Schweinefleisch zu essen gab.
Einige unserer Nachbarn kamen vorbei, außerdem Adrienne, Minas Freundin aus dem Schönheitssalon. Adrienne trug einen weinroten Salwar-Kamiz aus Seide, worin sie, wie sie erfreut berichtete, eher »vollschlank aussah, aber nicht dick« – einen Eindruck, den ich eigentlich nicht bestätigen konnte. Ich hatte sie davor nur kurz gesehen – wenn sie Mina abholte, weil sie ins Red Lobster ausgehen wollten, ihr Lieblingslokal –, und man konnte es einfach nicht anders sagen: Sie war gewaltig. In der wallenden Kurta und mit dem Schal mochte sie vielleicht weniger einer Kugel mit Extremitäten gleichen – daran musste man unweigerlich denken, wenn sie sich in eng anliegende westliche Kleidung zwängte –, aber wenn, dann waren diese Veränderungen zum Positiven nur minimal. Am (zumindest für mich) ausgeprägtesten Merkmal ihrer Körpermasse, ihrem wulstigen Hals und Nacken, den übereinandergepackten feisten Fleischwülsten, auf denen ein runder, roter Kopf saß, der um so vieles kleiner war als der Rest von ihr, konnte aber auch die pakistanischen Kleidung nichts ändern.
Und Nathan war da.
Ich stand mit Vater und Sonny am Grill mitten im Garten, als er seinen denkwürdigen Auftritt hatte. Mina und Adrienne saßen auf der hinteren Terrasse, die Hände in einer Schüssel mit Kebab-Hackfleisch. Die Terrassentür wurde mit einem lauten Knall zugeschlagen, ich sah auf und erblickte Nathan auf der Terrasse, drei große Sodaflaschen an den Körper gepresst, im Gesicht einen verwirrten Ausdruck. Auch Vater bemerkte ihn und winkte ihm zu. Nathan antwortete mit einer Geste, die ein Nicken zu sein schien, ging dann an den beiden Frauen vorbei, zögerte und geriet, als er von der Terrasse trat, ins Stolpern. Im nächsten Moment lag er auf dem Boden, die Flaschen kullerten über den Rasen. Nathan rappelte sich hoch und sah kurz zur Terrasse. Adrienne kicherte. »Entschuldigung«, erwiderte Nathan betreten. Er erhob sich, sammelte die Flaschen ein und kam in seiner beigen Hose, die nun mit frischen grünen Flecken an den Knien versehen war, auf uns zu.
»Alles in Ordnung, Chief?«, stichelte Vater.
»Ja … alles in Ordnung.« Nathan stellte die Flaschen auf den Tisch neben dem Grill und klopfte sich ab. »Vielleicht solltet ihr lieber noch etwas warten, bevor ihr die Flaschen aufmacht.«
»Keine Sorge, wir schaffen das schon, Chief.«
Nathan nickte. »Hallo, Hayat«, sagte er und schielte ein weiteres Mal verstohlen zur Terrasse.
»Hallo, Dr. Wolfsohn.«
»Nenn mich ruhig Nathan, Hayat.« Er lachte. »Das hab ich dir doch schon mal gesagt.«
»Okay.«
»Nathan. Das ist Sonny Buledi. Sonny Buledi, Nathan Wolfsohn.
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