Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelssucher - Roman

Himmelssucher - Roman

Titel: Himmelssucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carl's books Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
»Geh an die Tür, Hayat«, sagte sie, löste ihre Kochschürze und eilte zur Treppe. Ich war im Wohnzimmer und spielte mit Imran Schach oder versuchte es zumindest.
    »Lass dir Zeit und denk nach«, sagte ich zu Imran und erhob mich. »Du bist fast schachmatt.«
    Imran starrte kurz auf das Brett, dann fegte er mit einer Armbewegung alle Figuren um. »Ich gewinne!«, schrie er.
    »Du hast nicht gewonnen«, gab ich zurück. »Du kennst die Regeln nicht, daher weißt du gar nicht, was es heißt, zu gewinnen. Und nach dem, was du jetzt gemacht hast, wirst du auch nie gewinnen, weil ich nie mehr mit dir spiele!«
    Imran heulte auf, schleuderte das Brett in die Luft, warf sich auf den Rücken, plärrte lauthals und strampelte mit den Beinen.
    Es klingelte wieder.
    »Was ist dort unten los?«, rief meine Mutter herunter und spähte aus dem Badezimmer. Mina spähte über ihre Schulter.
    »Was ist passiert?«, rief Mina auf Urdu ihrem Sohn zu.
    »Nichts!«, rief ich zurück.
    »Mach keinen Unfug, Hayat«, kam es scharf von Mutter. »Und sieh endlich nach, wer an der Tür ist!«
    »Na, wer schon!«, maulte ich vor mich hin. Den gesamten Nachmittag waren Mina und Mutter in heller Aufregung gewesen, weil Nathan zum Abendessen kommen sollte. Ich öffnete die Haustür.
    »Hallo, Hayat!«, begrüßte mich Nathan freudig. Er trug ein braunes Sportjackett, ein gelbes Oxford-Hemd und eine khakifarbene Hose. Alles war perfekt gebügelt, und er selbst sah aus, als käme er frisch vom Friseur. Er betupfte sich die Stirn mit einem Taschentuch.
    »Hallo, Dr. Wolfsohn«, murmelte ich. Nathan hob einen Karton auf, der vor seinen Füßen stand.
    »Na, meint das Leben es gut mit dir, Hayat?«, fragte er, als er eintrat.
    »Ja.«
    Hinter uns raste Imran vorbei und stapfte die Treppe hinauf. Er weinte.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Nathan.
    »Fragen Sie mich nicht«, antwortete ich achselzuckend. »Der flennt immer wegen irgendwas.«
    Nathan nickte. »Na ja, ist wahrscheinlich nicht leicht für ihn in einem neuen Land …«
    »So neu ist es nicht mehr. Er ist schon eine Weile hier.«
    »Hmm … da hast du wahrscheinlich recht. Wo ist dein Dad? Er hat mich die ganze Woche wegen dem hier genervt.« Nathan zeigte auf den Karton, den er in der Hand hielt.
    »Hinten im Garten.«
    »Was dagegen, wenn ich ihn irgendwo abstelle?« Nathan trat ins Wohnzimmer, sah sich um und zeigte mit einem Kopfnicken auf den Armsessel. »Meinst du, hier ist es okay?«
    »Klar«, sagte ich.
    Auf dem Weg zum Sessel blieb er mit dem Fuß an der Kante des roten und rosafarbenen Persers hängen, der den Großteil des Wohnzimmerbodens bedeckte. Er geriet ins Stolpern, und die Fotos im Karton verstreuten sich über den Boden. Genau wie beim Barbecue, als er die Sodaflaschen hatte fallen lassen, dachte ich.
    »Scheiße!«, rief er und sah mich besorgt an. »Entschuldige die Ausdrucksweise. Ich hab es nicht so gemeint …«
    »Schon gut«, sagte ich.
    Nathan und ich machten uns daran, die Aufnahmen aufzusammeln. Auf allen waren vier ovale Bilder des menschlichen Gehirns zu sehen, die, obwohl unterschiedlich eingefärbt, allesamt ziemlich gleich aussahen. Es waren buchstäblich Tausende. Mir war ein Rätsel, wie er und Vater so viel Zeit damit verbringen konnten, sie sich alle anzusehen.
    Nathan stopfte die Fotos in den Karton und erhob sich. »Danke für die Hilfe«, sagte er, zog sein Taschentuch heraus und wischte sich übers Gesicht. Er war schweißnass. »Wo sind denn alle?«
    »Oben.«
    Er setzte sich auf die Couch. Wieder betupfte er sich das Gesicht, dann hob er den Arm und roch an der Achsel. Als er merkte, dass ich ihn beobachtete, ließ er den Arm sinken und lächelte schwach. »Es ist heiß hier, oder liegt das nur an mir?«
    »Ich denke, es ist heiß«, sagte ich.
    »Ja, ist wohl so.« Zerstreut sah er sich um. Plötzlich rief er aus: »Ach! Da fällt mir ein … ich hab ja was für dich!« Er wühlte in seiner Jacketttasche und zog ein schmales, goldfarbenes Päckchen heraus. »Hier. Mach es auf!«
    Ich nahm es entgegen und riss das goldene Geschenkpapier weg. Es war ein Buch. Der Ruf der Wildnis .
    »Jack London«, sagte er. »Eines meiner Lieblingsbücher, als ich in deinem Alter war.«
    Ich blätterte es durch und hielt bei einer Illustration inne, die einen Hund in einer öden Landschaft zeigte.
    »Es ist eine Sonderausgabe. Wahrscheinlich ist dir noch nicht klar, was das ist, aber wenn du auf sie gut aufpasst, wird sie eines Tages mal viel wert sein … Aber

Weitere Kostenlose Bücher