Himmelssucher - Roman
gingen und dann im Mondlicht neben seinem Wagen standen. Nathan beugte sich zu ihr hin, sie umarmte ihn, und ihre Hand fand seinen Nacken. Lange hielten sie sich fest.
Es tat weh, sie so zu sehen.
Dieser Abend war ein Vorgeschmack auf das, was folgen sollte: Nathan machte Mina den Hof und geriet dabei unweigerlich an Imran, der ebenso unweigerlich für Probleme sorgte. Da die Sommerferien begonnen hatten, trug mir Mutter auf, den Jungen aus dem Haus zu schaffen, wenn Nathan zu Besuch kam. Ich tat mein Bestes. Beim ersten Mal hatte ich Glück. Auf dem Weg zum Baseballfeld hinter dem Haus der Fahls’ – dort hielt ich mich an den Sommernachmittagen am liebsten auf, weil dort immer ein Spiel zugange war – lief ich Denise und Mandy Robinson über den Weg, eineiigen Zwillingen mit braunen Locken und eng zusammenstehenden Augen. Sie hielten den Kleinen für »unheimlich süß« und waren unterwegs zum Gartner-Baumhaus, einem ganzen Komplex verschachtelter, mit Leitern und Stricken verbundener Holzhäuschen, von denen ich Imran schon oft erzählt hatte. Er wollte es unbedingt sehen, und ich wollte ihn unbedingt loswerden. Der Nachmittag verlief großartig – Imran spielte gern mit den Mädchen. Und danach, als sich die Robinson-Zwillinge an ihm sattgespielt hatten, brachten sie ihn zum Baseballfeld. Leider wiederholte sich dieser Glücksfall nicht, so dass ich ihn in den nächsten beiden Wochen zum Baseball mitnehmen musste. So sehr ich ihm auch zuredete, sich einfach nur hinzusetzen und uns beim Spielen zuzuschauen, Imran wollte sich nicht darauf einlassen. Er lenkte uns ab und fiel uns so lange auf die Nerven, bis sich jemand erbarmte, ihm einen Handschuh gab und er sich mitten ins Outfield stellen durfte, wo er natürlich keinen einzigen Ball erwischte. Auch wenn er ihm aus einem Meter Entfernung zugeworfen wurde.
Außerdem waren meine nachmittäglichen Ausflüge sowieso nicht die Lösung des Problems. Oft genug war Nathan noch da, wenn ich mit dem Jungen nach Hause kam; Imrans Wutanfälle machten dem Besuch dann regelmäßig ein schnelles Ende. Dann hatte Vater eine Idee: die Sonntage. Sonntag war sein freier Tag, und er meinte, wenn er mit dem Jungen etwas unternahm – in den Zoo ging oder zum Angeln (in diesem Fall kam ich auch mit) –, hätten Mina und Nathan wenigstens einen entspannten Nachmittag in der Woche. Es funktionierte prächtig.
Mitte Juni, am vierten Sonntag, ließ Nathan es zum ersten Mal wieder darauf ankommen und blieb bis zum Abend. Zusammen mit Mina und Mutter begrüßte er uns, als wir vom See zurückkehrten. Vater holte das Glanzstück unseres Fangs aus der Kühltasche, einen einpfündigen Barsch, er hielt ihn hoch und verkündete, dass Imran ihn gefangen habe. (Er hatte ihn nicht gefangen, sondern Vater.) Nathan lobte Imran überschwänglich und aufrichtig und überreichte ihm einen Überraschungskorb voller neuer Spielsachen. Nach dem Abendessen spielten sie eine Stunde lang, und Imran zeigte sich von seiner besten Seite. Er schleuderte Nathan kein einziges der neuen Spielsachen ins Gesicht, er weinte oder heulte nicht, als Mina ihn ins Bett brachte und daraufhin wieder nach unten kam, um noch etwas Zeit mit Nathan zu verbringen.
Davon ermutigt, kam Nathan am Mittwoch nach der Arbeit erneut vorbei. Doch das war zu früh. Imran reagierte mit einem sagenhaften Wutanfall, er schrie so laut und so lange, dass ich mich ehrlich fragte, wie überhaupt ein Wesen – ob Mensch oder wildes Tier – so einen gewaltigen Lärm veranstalten konnte. Zwei Tage darauf, am Freitag, nahm mich Mutter zur Seite und bat mich, wieder auf den Jungen aufzupassen. Denn am Abend würde Nathan zu Besuch kommen.
»Mom? Warum treffen sich die beiden nicht irgendwo anders? Warum muss er immer zu uns kommen?«
»Hör auf, dich zu beklagen.«
»Ich beklage mich nicht.«
»Sondern?«
»Ich frage nur.«
»Was fragst du?«
»Warum sie sich nicht irgendwo anders treffen. Damit Imran davon nichts mitbekommt …«
Mutter tat meinen Einwand ab, als meinte sie, ich müsste die Antwort bereits kennen: »Weil deine Tante Mina eine muslimische Frau ist, und muslimische Frauen haben kein Rendezvous mit Männern.«
»Aber genau das hat sie doch.«
Mutter seufzte.
»Oder?«, fragte ich.
Mutter schüttelte den Kopf, hielt kurz inne, nickte und schüttelte dann wieder den Kopf. »Nicht unbedingt«, sagte sie schließlich. Daraufhin erklärte sie mir, dass sie Minas Eltern versprochen habe, die Ehre ihrer Tochter zu
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