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Himmelssucher - Roman

Himmelssucher - Roman

Titel: Himmelssucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carl's books Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Stunde nach dem Essen das Telefon. Mutter kam in die Küche gestürmt und schnappte sich den Hörer. »Hallo, Dr. Wolfsohn …«, säuselte sie, »tut mir leid, ich meinte … Nathan … mir geht es gut, Nathan . Und Ihnen? … Natürlich . Ich hole sie …« Dann legte sie die Hand über den Hörer und rief: »Mina! Für dich! Dr. Wolfsohn!« Und sofort schwebte Mina auf Zehenspitzen herein, nahm das Telefon in Empfang und zirpte in den Hörer: »Hallo, Nathan.« Aber bevor das Gespräch überhaupt in Gang kam, drehte sie sich zu mir um – ich war meistens noch mit dem Abwasch beschäftigt – und fragte ganz freundlich: » Behta , macht es dir was aus, wenn ich das Telefon eine Weile lang … für mich allein haben kann?«
    Ich nickte und verzog mich in mein Zimmer.
    Mehr als einmal in der Woche tauchte ich dann eine Stunde später – nach den Hausaufgaben und einigen Koranversen – wieder auf und hoffte auf dem Weg hinunter ins Fernsehzimmer dem eventuell noch verbliebenen Abwasch zu entgehen. Und immer kauerte Mutter auf der Treppe und versperrte mir den Weg. Und über ihrer Schulter sah ich Mina, die es sich auf dem Sofa hinten im Fernsehzimmer bequem gemacht hatte und liebevoll den Hörer ans Ohr drückte.
    »Sei nicht so neugierig«, schalt Mutter mich.
    »Bin ich nicht.«
    »Mach den Abwasch fertig.«
    »Gut«, sagte ich.
    Es gab keinen Grund, neugierig zu sein. Minas ausgelassenes Lachen, das selbst den laufenden Wasserhahn übertönte, während ich das restliche Geschirr im Ausguss spülte, und ihr verträumtes Dahinschreiten, wenn sie nach Beendigung des Telefonats die Treppe hochkam, ließen kaum einen Zweifel, was hier vor sich ging.
    Sie war verknallt.
    Am Donnerstagabend, als ich an meinem Schreibtisch saß, hörte ich Mina unten jemanden anbrüllen. Ich ging an die Tür meines Zimmers und bekam mit, wie sie weinend in ihr Zimmer stürzte und die Tür hinter sich zuknallte. Später erzählte mir Mutter, dass Minas Eltern angerufen hätten. Sie hatten von einem geschiedenen Pakistani erfahren, einem Zahnarzt in South Carolina, der eine Frau suchte. Ohne es mit ihrer Tochter zu besprechen, hatten die Alis dem Mann Minas Foto geschickt. Jetzt wollte er sie kennenlernen.
    Mina war völlig aufgelöst. Sie hatte ihren Eltern gesagt, dass sie nicht nur nicht interessiert sei, sondern sich nach allem, was mit Hamed geschehen war, auch nie und nimmer auf eine weitere arrangierte Ehe einlassen würde.
    Daraufhin hatte ihr Vater sie angebrüllt, sie hatte zurückgebrüllt, und er hatte einfach aufgelegt.
    Am nächsten Morgen, als ich mich für die Schule fertigmachte, war Mina noch im Bett. Das war ungewöhnlich. Meistens stand sie früh auf, half Mutter beim Frühstück und bereitete Imran für den Kindergarten vor. Als ich an diesem Morgen zum Bus ging, war die Tür zu ihrem Zimmer immer noch geschlossen, und als ich am Nachmittag nach Hause kam, klagte Mutter, dass sich Mina den ganzen Tag nicht hatte blicken lassen. Erst zum Tee tauchte sie schließlich auf, kam durch den Flur und in die Küche geschlurft, wo Mutter Tee einschenkte. Mina sah ausgezehrt, niedergeschlagen aus, ihre Augen lagen in dunklen Höhlen.
    »Hallo, Tante«, versuchte ich sie aufzumuntern.
    »Hallo, Behta «, murmelte sie.
    »Kann ich heute Abend zu dir kommen?« Seit dem Wochenende – und den folgenden abendlichen Anrufen von Nathan – hatten wir uns nicht mehr mit dem Koran beschäftigt.
    »Mach deiner Tante das Leben nicht noch schwerer, Hayat«, sagte Mutter.
    »Schon gut, Bhaj «, sagte Mina mit einem schwachen Lächeln.
    »Gehen wir«, sagte Mutter brüsk zu ihrer Freundin, während sie Mina ihre Teetasse reichte und sie an der Hand nahm.
    Erneut lächelte Mina mir zu. »Komm später, Behta «, sagte sie, während Mutter sie hinausführte.
    Vor dem Zubettgehen kam ich mit dem Koran in der Hand zu ihr.
    »Ist es in Ordnung, wenn wir uns statt der Diniyaat mit einer Geschichte beschäftigen?«, flüsterte sie und zeigte auf Imran, der bereits in seinem Bett schlief.
    »Klar, Tante«, antwortete ich ebenfalls leise.
    Mina schlug das Laken zurück, lud mich zu sich ein und fragte, welche Geschichte ich hören wollte. Eine neue, sagte ich. Sie überlegte kurz, dann hellte sich ihr Blick auf.
    »Ich werde dir von einem Derwisch erzählen. Das ist jemand, der für Allah alles aufgibt.«
    »Gerwisch?«
    »Derwisch. Mit einem d , keinem g .«
    »Derwisch«, wiederholte ich. Aber nach dem missverstandenen Wort hatte sich bereits ein

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