Himmelssucher - Roman
schützen; sie befürworte zwar die Beziehung zu Nathan, habe der Sache aber auch strikte Grenzen gesetzt: Sie würde die beiden keine Sekunde allein lassen; sie würde immer in ihrer Nähe bleiben. Laut Mutter bedeutete dies, dass es also kein richtiges Rendezvous war.
»Wenn sie in Minas Zimmer gehen, lassen sie die Tür offen. Ich schaue alle zehn Minuten nach. Wenn sie fernsehen, sitze ich in der Küche und lausche. Letzten Sonntag … wollten sie in den Red Lobster ausgehen. Meinst du, ich hätte sie allein dorthin gelassen? Meinst du das wirklich?«
»Ich weiß nicht.«
»Ich habe sie nicht allein dorthin gelassen. Ich habe sie begleitet. Sie saßen in einem Abteil. Mina wollte nicht, dass ich höre, was sie sich zu sagen hatten, also setzte ich mich auf die gegenüberliegende Seite, damit ich jederzeit sehen konnte, was sie machten. Niemand, der noch recht bei Trost ist, würde das als Rendezvous bezeichnen. Oder?«
Damit lag sie wahrscheinlich nicht so falsch.
Es war Ende Juni.
Eines Abends kam Mutter in mein Zimmer, um nach mir zu sehen, bevor sie ins Bett ging. Als sie zur Tür hereinspähte, drehte ich mich im Bett um und hoffte, sie würde bemerken, dass ich noch wach lag.
Sie kam herein. »Was ist los, Meri-Jaan ?«, flüsterte sie.
»Keine Ahnung.«
»Hast du noch gelesen?«
»Nein.«
»Was also?«
»Bin nicht müde.«
»Willst du, dass dir deine Ammi etwas Aufmerksamkeit schenkt?«
Ich nickte.
»Ah«, kam es von ihr, während sie sich neben mich setzte. Sie strich mir über die Stirn. Eine ganze Weile sahen wir uns nur schweigend an.
»Ist mit Tante Mina alles in Ordnung?«, fragte ich schließlich.
»Es geht ihr gut, Behta . Sie ist ein wenig durcheinander, aber es geht ihr gut …«
»Warum ist sie durcheinander?«
»Die Sache wird allmählich ernst.«
»Sache?«
»Dein Vater hat ausnahmsweise mal etwas sehr Ehrenvolles getan. Er hat Nathan gesagt, er soll sich seiner Absichten klar werden. So kann es nicht weitergehen. Schließlich stammt Mina aus Pakistan …« Mutter schüttelte unmerklich den Kopf; ein versonnener Glanz schlich sich in ihre Augen. »Und weißt du, was dieser nette Mann gesagt hat?«
»Nein.«
»Dass er sich sehr glücklich schätzt, dass sie so aufgeschlossen ist. Er hätte nicht erwartet, dass sie sich so sehr auf ihn einlässt. Dafür ist er ihr dankbar. Er ist ja so sensibel. Und so intelligent . Mir will partout nicht in den Kopf, wie er deinem Vater so nahestehen kann. Wie sagt man? Gegensätze ziehen sich an? Wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde …«
»Die beiden sind ein und dieselbe Person.«
»Was?«
»Dr. Jekyll und Mr. Hyde sind ein und dieselbe Person … glaube ich.«
»Spar dir deine vorlauten Bemerkungen. Was ich sagen möchte: Nathan ist ein guter Mann. Und das allein zählt. Das sage ich ihr auch immer. Gute Männer sind schwer zu finden. Ich meine, das muss man Mina nicht sagen. Sie hat es am eigenen Leib erfahren. Und sie sieht es hier in diesem Haus, Tag für Tag.« Noch immer strich mir Mutter über die Stirn. »Sie macht sich bloß Sorgen, weil er Jude ist. Und dann ist da natürlich noch Imran. Er sagt ihr ständig, dass er keinen weißen Vater will. Aber das ist Unsinn. Sie kann ihre Entscheidung nicht von der Meinung eines Fünfjährigen abhängig machen.« Mutter zog ihre Hand weg, ihr Blick ging in die Ferne. »Aber sie ist ganz besessen davon, dass er Jude ist, und was die Leute zu Hause darüber sagen, und ob ihre Kinder einmal muslimisch oder jüdisch werden. Ich sage ihr, dass sie sich darum keine Sorgen zu machen braucht. Aber sie ist ja sostarrköpfig. Richtig fixiert darauf.« Glucksend fügte sie, mehr zu sich selbst als zu mir, hinzu: »Was hätte Dr. Freud für eine Fallstudie über deine Tante Mina geschrieben.« Sie sah mich wieder an, plötzlich lag ein Glanz in ihren Augen. »Die ganze Zeit sage ich ihr, dass ihr nichts Besseres passieren konnte, als dass Nathan Jude ist. Juden wissen nämlich, wie man einer Frau Respekt entgegenbringt, Behta . Sie wissen, wie man eine Frau eine Frau sein lässt, damit sie ihren Mann umsorgen kann. Sie wissen, wie man einer Frau Aufmerksamkeit schenkt. Ich habe Tante Mina gesagt, dass er ihr ein Leben bereiten wird, von dem sie mit einem muslimischen Mann nur träumen kann. Muslimische Männer haben nämlich Angst vor Frauen … allesamt.« Sie beugte sich zu mir herunter und küsste mich auf die Nase, ihr Gesicht war nur wenige Zentimeter von mir entfernt, in ihrem Blick lag
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