Himmelssucher - Roman
hielt inne, eine kurze Pause, mit der sie die wahre Bedeutung von Nathans Opfer unterstrich. »Und was hat dein Vater mir zuliebe geopfert? Sag es mir! Noch nicht einmal eine Nacht mit einer seinen weißen Prostituierten … «
Mir war klar, in welche Richtung es ging. Ich wollte es nicht hören.
»Hayat, hörst du mir zu?«
Ich sah auf. »Ich dachte, Tante Minas Nachname lautet Ali«, sagte ich unvermittelt.
Nicht nur die Frage, sondern auch der Zeitpunkt schien Mutter zu irritieren. »Es ist ihr Nachname.«
»Und was ist mit Suhail?«
»So hat Hamed geheißen. Ihr erster Mann.« Wieder hielt sie inne. »Ihr ersterMann«, wiederholte sie lächelnd und mehr zu sich selbst. »Wie schön!«, sagte sie, nun wieder an mich gerichtet. »Und jetzt hat sie dann einen zweiten!«
Sie sind alle so scheinheilig , dachte ich. Allesamt scheinheilig.
Seit dem Entschluss, meine Genitalien nicht mehr zu betrachten, waren Monate vergangen. Am folgenden Sonntag aber war ich gezwungen, mein Gebot zu brechen.
Bei Sonnenaufgang wachte ich auf, durch die Vorhänge am Fenster fiel noch kaum Licht. Etwas stimmte nicht. Zwischen meinen Beinen spürte ich einen brennenden Schmerz. Ich stand auf und zog die Pyjamahose herunter. Mein weicher Penis war mit einer trockenen, abblätternden Haut bedeckt. Die Hose selbst fühlte sich hart und verkrustet an, und an der Innenseite klebte ein weißlicher Film.
Ich eilte ins Bad, wo ich an der seltsamen Haut auf meinem Penis zupfte. Sie ließ sich ganz leicht lösen. Ich verstand nicht, woher die Schmerzen herrührten. Vielleicht bin ich krank , dachte ich. Aber irgendwie wusste ich, dass es daran nicht lag.
Wieder in meinem Zimmer, zog ich eine andere Pyjamahose an und versteckte die alte unter dem Bett. Ich ging zu meinem Gebetsteppich in der Ecke, wandte mich nach Osten, hob die Hände …
» Allahu Akbar …«
… und begann mit dem Morgengebet.
Es fiel mir schwer zu beten, zumindest so, wie Mina es mich gelehrt hatte. Ich konnte Gott nicht in meiner Nähe behalten, nicht, wenn mein Unterleib schmerzte und das Gefühl an mir nagte, etwas stimme nicht.
Nach dem Gebet legte ich mich wieder hin, konnte aber nicht mehr schlafen. Irgendwann bemerkte ich Mutter in der Tür. Sie sah mich an. »Bist du wach, Kurban ?«, fragte sie und kam an mein Bett.
Ich überlegte, ob ich ihr von meinen Schmerzen erzählen sollte. »Ich habe mein Fajr-Gebet verrichtet«, sagte ich stattdessen.
Sie schüttelte den Kopf. »Du beschämst mich, Hayat. Oder du schaffst es am Ende noch, mich zu einer besseren Muslimin zu machen.« Etwas verloren stand sie vor mir.
»Ich werde mal ein Hafiz, Mom. Du musst dir keine Sorgen machen. Dann kommst du auch in den Himmel.«
»Oh, Behta. Du hast ein so großes Herz«, sagte sie gerührt. »Ich liebe dich so sehr.«
»Ich liebe dich auch, Mom.«
Als sie das hörte, setzte sich Mutter neben mich und barg das Gesicht in den Händen. Sie begann zu weinen.
Ich berührte sie am Rücken, worauf sie auf meinem Bett zusammenbrach und in meinen Armen schluchzte. Als die Tränen versiegt waren, riss sie sich los und sah mich an.
»Du wirst ein guter Muslim werden. Aber du wirst deine Frau auch gut behandeln, das wirst du doch, Behta ? Du wirst die eine Ausnahme sein … ein guter Muslim, der seine Frau achtet, nicht wahr?«
»Ja, Mom.«
»Und du wirst ihr die Möglichkeit geben, eine Frau zu sein. Du wirst ihr die Möglichkeit geben, dich zu umsorgen, dich zu lieben …«
Ich verstand nicht, was sie mir damit sagen wollte, aber ich nickte eifrig. »Ja, Mom. Das werde ich, versprochen.«
Sie wirkte erleichtert. »Was soll man zu einem Mann sagen, der einem keine Aufmerksamkeit schenkt? Oder deine Gefühle nicht achtet? Was kann man so einem Mann sagen?«
Etwas Drängendes, ja Flehendes lag in ihrer Stimme. Aber ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Stockend fuhr sie fort:
»Diesen Morgen waren wir zusammen, Behta … Und er wollte nicht mit mir reden. Kein einziges Wort. Ich wollte, dass er von sich spricht, dass er mir sagt, was ihm durch den Kopf geht, was er fühlt … irgendwas. Aber er wollte nicht.« Ihr unsteter, fahriger Blick kam zur Ruhe. »Es ist seine Mutter, weißt du. Eine schreckliche Frau. Du kannst von großem Glück reden, dass du nicht mit einem solchen Ungeheuer geschlagen bist. Über so etwas, Kurban , über eine solche schreckliche Mutter kommst du nie hinweg. Und nach dem Tod seiner Schwester ist es mit seiner Mutter nur noch schlimmer
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