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Himmelssucher - Roman

Himmelssucher - Roman

Titel: Himmelssucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carl's books Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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weiß nicht, warum sie mir nicht glaubt, dass ich am Islam interessiert bin. Ich lese jeden Tag im Koran.«
    Vater lachte.
    »Naveed, hör auf damit.«
    »Okay, okay, Nate …«
    Sie gingen zu Nathans Wagen, und ich holte die letzten Klappstühle aus dem Kofferraum. Als sich eines der Aluminiumbeine in der Abdeckung über dem Reservereifen verhakte, zerrte ich daran, bis sich das Stuhlbein löste, aber damit riss ich auch die Abdeckung fort.
    In der Reifennabe lag eine zur Hälfte mit einer weizenfarbenen Flüssigkeit gefüllte Flasche mit goldenem Etikett. Ich legte die Stühle ab, griff nach der Flasche und hielt sie an die kleine Lampe in der Ecke.
    Mir wurde elend. Auf dem Etikett stand »Whiskey«.
    Ich sah zu Vater. Er und Nathan gaben sich die Hand. Ich beugte mich in den Kofferraum und legte die Abdeckung wieder über den Reservereifen. Ich verbarg die Flasche unter dem Hemd und rannte mit rasendem Herzen in die Garage. In der Ecke lagen Plastiksäcke, in die Vater im Herbst das Laub stopfte.
    Ich drehte mich um. Nathan fuhr los, und Vater kam über die Einfahrt zurück.
    Ich stopfte die Flasche unter die Säcke und trat mehrmals gegen die verdächtige Ausbauchung.
    »Ist das alles?«, fragte Vater. Er hatte die restlichen Klappstühle unter dem Arm.
    »Ja«, erwiderte ich und eilte zum Wagen.
    Vater trat zur Seite. Ich knallte den Kofferraum zu, folgte ihm in die Garage und sah zu, wie er die Stühle an die hintere Wand lehnte. Er wirkte zerstreut, orientierungslos, als hätte er Probleme mit dem Gleichgewicht.
    Mutter hat recht , dachte ich mir. Er ist ein Säufer.
    Doch als er zu mir an die Garageneinfahrt trat, machte selbst meine Wut mich nicht blind für die ruhige Gelassenheit in seinem Blick, für sein warmherziges Lächeln. Voller Zärtlichkeit legte er mir die Hand auf die Schulter.
    »Schau dir das an … so viele Glühwürmchen«, sagte er und deutete zum Rasen. Überall pulsierten und wogten gelb-weiße Lichtpünktchen, torkelten an den Sträuchern entlang und verschwanden im Gras. Schweigend sah Vater ihnen zu. Dann drehte er sich zu mir um. In der Dunkelheit schimmerten seine Augenwinkel feucht vor Rührung. »Wie in meiner Kindheit. Genau so. Die Felder voll mit Glühwürmchen, über und über. Im Dorf haben wir sie immer gefangen. Ich hab dir nie gezeigt, wie man das macht, oder?«
    »Nein«, murmelte ich.
    »Dann zeig ich’s dir jetzt«, sagte er voller Freude. Er ging in die Garage zurück und ließ den Blick über die Regale schweifen. »Ich brauche dazu nur ein paar Becher.« Angespannt sah ich ihm zu. Als er sich dem Haufen weggeworfener Plastiksäcke näherte, rief ich:
    »Dad, ich hab keine Lust darauf.«
    Er drehte sich um. »Ach, komm schon, Kurban .«
    »Ich bin müde, Dad.«
    »Aber es macht doch Spaß.«
    Ich blieb standhaft. »Ich will nicht«, sagte ich.
    Er wirkte gekränkt. »Gut«, sagte er und stand noch kurz unschlüssig herum. »Gut, meinetwegen«, wiederholte er schroff. »Vergiss nicht, die Garage abzusperren«, sagte er noch und ging hinaus.

9
    DIE SCHEINHEILIGEN
    F ür das, was ich als Nächstes tat, habe ich keine Erklärung.
    Nachdem Vater fort war, ging ich zu den Plastiksäcken und zog die Flasche heraus, nahm mir aus dem Regal mit den Gartenwerkzeugen einen Handspaten und ging damit nach hinten in den Garten. Rechts am Ende der Rasenfläche lag Vaters Gemüsegarten, links davon standen einige Birken. Dort wollte ich hin.
    Die Luft unter dem schweren Nachthimmel war erfüllt vom Zirpen der Grillen. Als ich mich den Bäumen näherte, schnellte ein Zweig hoch, etwas streifte über meinen Kopf hinweg. Ich schreckte hoch. Lautlos schwebten zwei große weiße Schwingen über mich und anschließend über das Dach unseres Hauses zu den Eichen auf der anderen Seite. Ich kniete mich hin und begann im weichen Boden zu graben. Kurz darauf hatte ich ein Loch ausgehoben, gerade groß genug für die Flasche.
    Ich schraubte den Verschluss auf und roch am Flaschenhals. Ein unangenehmer, rauchiger Geruch stieg auf. Es war mir schleierhaft, wie jemand so etwas trinken wollte. Ich goss die Flüssigkeit in das Loch und legte die Flasche hinein, richtete mich auf und sprang mit voller Wucht auf das Glas. Erst beim dritten Mal brach es, nach einem weiteren Sprung zerbarst die Flasche vollends in Scherben. Kniend füllte ich daraufhin das Loch, und als ich fertig war, stand ich auf, hob die Arme, drehte die Handflächen nach oben, wie wir Muslime es tun, wenn wir Allah im Gebet

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