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Himmelssucher - Roman

Himmelssucher - Roman

Titel: Himmelssucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carl's books Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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anrufen, und sah zum Himmel auf.
    Vergib ihm , flüsterte ich.
    In dem Koran, den Mina mir geschenkt hatte, wurde in einer Fußnote erwähnt, dass seit alters her jeder, der beim Trinken von Alkohol erwischt wurde, mit vierzig Peitschenhieben zu bestrafen sei; und jene, die nicht ertappt wurden – und somit der irdischen Bestrafung entgingen –, sehr viel Schlimmeres im Jenseits zu erwarten hatten: siebzig Jahre im Höllenfeuer. Nur für einen einzigen Schluck.
    Siebzig Jahre!
    Was das Höllenfeuer betraf, überließ der Koran wenig der Fantasie seiner Leser. Es wurde von Gruben und Abgründen voller Feuer erzählt, von Häusern aus Feuer, von Feuersäulen und Feuerdächern, feurigen Zimmern, ausgestattet mit flackernden Sofas und glühenden Betten; von brennenden Kleidern, die den Sündern um die Körper geschlungen wurden, von Schuhen und Kopfbedeckungen, so heiß, dass den Übeltätern die Füße brieten und das Gehirn schmorte. Es gab Speisen aus Feuer und kochende Getränke, die die Eingeweide versengten; kochendes Wasser, das aus in Flammen stehenden Kübeln gegossen wurde, und Augäpfel, die in den Augenhöhlen der Ungläubigen glimmten; Gesichter, denen flammende Sägen die Lippen abtrennten; feuergeschwärzte Haut, die sich endlos schälte, damit die darunter freigelegte, frische Haut von neuem brennen konnte. Und schließlich gab es das Feuer selbst, ein Feuer, das nicht mit dem Feuer zu vergleichen war, wie wir es kannten, sondern siebzig Mal heißer, und nicht mit Holz oder Kohle geschürt wurde, sondern mit der endlosen Reihe von Sündern …
    Zwei Tage konnte ich an nichts anderes denken als an das, was Vater bevorstand. Der Whiskey, den er allein aus dieser Flasche getrunken hatte, versprach mehr als zweihundert Jahre Folterqualen. Zweihundert Jahre! Und das war nur die Flasche, von der ich wusste. Wie viele gab es, die er bis dahin getrunken hatte? Und wie viele würde es noch in Zukunft geben? Und für wie viele andere Missetaten – nehmen wir nur seine Geliebten – würde er darüberhinaus bestraft werden?
    Drei Tage nachdem ich die Flasche vergraben hatte, kehrte ich zu den Birken zurück. Mit geschlossenen Augen kniete ich vor dem niedrigen aufgeworfenen Erdhügel. Kauernd sah ich meinen Vater vor mir, der mir durch die endlosen Flammen zuwinkte. Ich flehte Gott an, ihm zu vergeben, ihn abzubringen von seinem sündhaften Tun. Ich hörte Vaters Schmerzensschreie, als er in den Feuern verbrannte. Ich stellte mir vor, wie ich mich zu ihm hinabbeugte, um ihn loszureißen. Aber das schaffte ich noch nicht einmal in meiner Fantasie. Die Feuer waren zu heiß. Ich war machtlos.
    Aber man muss doch etwas tun können , ging mir durch den Kopf. Es muss doch etwas geben …
    Aber natürlich, es gab doch etwas!
    Und ich tat es bereits!
    Ich beugte mich mit dem Kopf zur Erde und dankte Gott, stand auf und trocknete mir die Augen. Ich ging ins Haus zurück, hinauf in mein Zimmer und schloss hinter mir die Tür. An meinem Schreibtisch schlug ich den Koran auf und machte an der Stelle, an der ich mit dem Auswendiglernen aufgehört hatte, weiter. Denn das war mir unter den Birken eingefallen: Ich musste nur ein Hafiz werden. Wenn ich das schaffte, wären meine Eltern gerettet. Das hatte Mina gesagt. Jeder Hafiz verdiente nicht nur für sich einen Platz im Paradies, sondern auch für seine Eltern.
    Egal, wie viel er trank, egal, wie viele Geliebte er hatte, Vater wäre gerettet.
    In der folgenden Woche vollbrachte ich eine herausragende Leistung: Ich ackerte mich durch eine ganze Dschuz unseres heiligen Buches, über zweihundert Verse. Ich erzählte Mina von meinen erstaunlichen Fortschritten. Wir saßen im Esszimmer – dort hatte ich sie beim Lesen entdeckt –, und sie las im Koran mit, achtete auf Fehler, während ich die neuen Verse vortrug. Ich ließ nur eine einzige Zeile aus. Sie war erstaunt.
    »Mein Gott, Behta «, sagte sie. »Wie lang hast du dafür gebraucht?«
    »Drei Tage.«
    »Drei Tage?«, fragte sie kopfschüttelnd.
    »Ja, Tante.«
    »Mein Gott«, wiederholte sie. »Du bist begabt, Behta … Also, welche Sure kommt als Nächstes?«
    »Das weiß ich noch nicht.«
    »Kennst du schon die Sure Ya-Sin?«, fragte sie.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nimm sie als Nächstes dran. Sie ist das Herzstück des Koran. Wir lesen sie, wenn jemand stirbt … um ihm den Übergang in das nächste Leben zu erleichtern.« Mina blätterte durch den Koran. »Hier ist sie«, sagte sie und schob mir das Buch über den

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