Himmelssucher - Roman
Siebenhundert für jenes. Eine Ewigkeit für irgendwas anderes. Dümmer geht es nicht mehr! Aber du hättest ihre Gesichter sehen sollen! Saßen vor ihm, als wäre er die Sonne, die morgens aufgeht. Haben seinen Blödsinn geschluckt und gedacht, es wäre so was wie Erkenntnis!«
Ich wand mich. Vater hatte meiner Meinung nach nicht das geringste Recht, sich so herablassend über das Höllenfeuer zu äußern.
»Schön und gut, Naveed«, sagte Nathan. »Aber danach habe ich dich nicht gefragt. Ich habe dich gefragt, ob du gewusst hast, dass so was passieren könnte.«
Dieses Mal reagierte Vater nicht.
»Antworte mir, Naveed!«
Vater sah zu Nathan, dann wieder auf die Straße. »Ich habe nicht gewusst, dass so etwas passieren würde … aber ich bin zusammengezuckt, als du ihm gesagt hast, du seist Jude. Ich dachte …«
Nathan schnitt ihm das Wort ab: »Die Predigt war nicht für mich bestimmt. Er hätte sie sowieso gehalten, ob ich da gewesen wäre oder nicht. Gib mir einfach eine klare Antwort. Es ist mir wichtig. Wenn du ohne mich da gewesen wärst, wärst du dann wie die anderen auch geblieben?«
»Du vergisst eines: Ich bin dir zu Hilfe geeilt.« Vater klang gekränkt und trotzig zugleich.
Nathan sah Vater lange an, bevor er sich mit einem Kopfnicken abwandte. Er seufzte, und mit einem Mal bröckelte seine harte Miene. Er wirkte erschöpft. »Das leugne ich nicht. Ich sage bloß, dass es wahrscheinlich nicht das erste Mal ist, dass du solche Dinge hörst, oder?«
»Nein«, antwortete Vater.
»Was bin ich bloß für ein Trottel. Mein Vater hat mich davor gewarnt. Sein Leben lang hat er gesagt, egal, wie sehr wir uns bemühen, so zu sein wie die anderen, wir werden immer Juden bleiben.« Nathans Stimme zitterte. Mit schmerzerfülltem, fragendem Blick drehte er sich zu mir um. Ich zwang mich zu einem Lächeln. Enttäuschung lag in seinen Augen. Er sah weg.
»Was er gemacht hat, war falsch, Nate … Aber du hättest nicht aufstehen und ihn anbrüllen müssen.«
»Ich verstehe nicht, wie du das sagen kannst, Naveed.«
»Du verstehst es nicht?«
»Vielleicht«, räumte Nathan ein, »vielleicht verstehe ich es. Aber vielleicht geht es genau darum.«
»Wovon sprichst du?«
»Jemand muss etwas sagen!«, blaffte Nathan. »Wenn niemand dagegen protestiert, glauben die Leute, solche Sachen wären hinnehmbar. Man muss seine Meinung sagen. Wenn ich nicht aufgestanden wäre und etwas gesagt hätte … hättest du es getan?«
»Alles zu seiner Zeit und an seinem Ort.«
»Es gibt nie den passenden Zeitpunkt und den passenden Ort. Es gibt ihn einfach nicht. Wenn man nicht gleich aufsteht und Einspruch erhebt, hat man die Gelegenheit verpasst. Und wenn du nichts sagst, bist du keinen Deut besser als die anderen. Das Gleiche gilt für mich. Was wird er sich denken?« Nate wies mit einem Kopfnicken auf mich. »Was wird er sich denken, wenn er seinen Vater nicht aufstehen sieht?«
Nach einer Weile antwortete Vater: »Nate, ich vertraue dir wie sonst niemandem. Ich habe dir Dinge erzählt, die sonst keiner weiß. Warum? Weil du der Einzige bist, den ich kenne, der wirklich zuhören kann. Der zuhört, ohne vorschnell zu urteilen …«
Lange sah Nathan zu Vater, stützte sich auf das gleißende Armaturenbrett und musterte ihn eindringlich.
»Also, hör mir jetzt auch zu«, fuhr Vater fort. »Ich verstehe deine Empörung. Aber ich möchte dich daran erinnern, dass ich derjenige war, der dich vor Souhef gewarnt hat. Ich habe dich die ganze Zeit vor dieser Islam-Sache gewarnt …«
»Mich gewarnt?«, ging Nathan hoch. »Du hast mir gesagt, er wäre hinter meinem Geld her! Du hast mir nicht gesagt, dass er ein antisemitischer Hassprediger ist!«
Vater sagte nichts.
Angewidert lehnte sich Nathan zurück. »Wie er diese Leute dazu bringt, sich ihm gegenüber verpflichtet zu fühlen. Das ist abstoßend und unmoralisch. Und hat nichts mit dem wahren Islam zu tun. Überhaupt nichts.«
Was glaubt er eigentlich, wer er ist? , ging mir durch den Kopf. Er ist ja noch nicht einmal Muslim.
Ich lehnte mich zurück und hielt mir die Ohren zu, sah aus dem Fenster, summte vor mich hin und wollte ihre Diskussion nicht mehr hören. Ich wollte nicht mehr hören, was sie zu sagen hatten.
Zu Hause stieg ich als Erster aus dem Wagen und ging ins Haus. Mina war in der Küche, in ihrem braunen Salwar-Kamiz und einer karmesinroten Dupatta sah sie wundervoll aus. Sie strahlte und konnte es kaum erwarten, von unserem Besuch in der Moschee zu
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