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Himmelssucher - Roman

Himmelssucher - Roman

Titel: Himmelssucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carl's books Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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hören. »Wie war es, Behta ?«, fragte sie.
    »Schön«, sagte ich.
    »Hat Nathan mit dem Imam geredet?«
    Ich nickte.
    »Gut«, sagte sie zufrieden. »Und wie war das Gebet?«
    Ich zögerte kurz; ich wollte ihr nicht sagen, dass wir gar nicht gebetet hatten. »Gut«, sagte ich lächelnd.
    »Das ist schön, Behta .« Ihr Blick ging zur Haustür. »Wo ist er?«
    Ich zuckte mit den Schultern. Plötzlich war ich in Hochstimmung, beugte mich vor und drückte Mina einen Kuss auf die Wange.
    »Wie nett von dir, Behta .«
    »Ich liebe dich, Tante.«
    »Ich liebe dich auch, Hayat.«
    Und damit ließ ich sie, die noch immer lächelte und strahlte, allein und ging auf mein Zimmer.
    Oben setzte ich mich mit dem Koran an meinen Schreibtisch und schlug Al-Baqara auf, die Sure, aus der Souhef uns vorgelesen hatte. Sie begann mit einer Reihe von Warnungen an jene, die die Wahrheit der Botschaft des Propheten leugnen, an jene, die er Ungläubige und Heuchler nennt. In den Fußnoten wurde die Geschichte von Mohammeds Flucht aus Mekka im Jahr 622 und seine Umsiedlung nach Medina erzählt, wo es eine große und wohlhabende jüdische Gemeinde gab. Diesen Juden galten die Warnungen am Anfang von Al-Baqara. Obwohl der Prophet ihnen gleiche Rechte zugestand, waren sie damit nicht zufrieden. Die Juden stritten nicht nur die Lehren des Propheten ab, sondern verschworen sich auch gegen ihn, gingen Bündnisse mit seinen Feinden ein, manche von ihnen trachteten ihm sogar nach dem Leben. Aus diesem Grund, so stand es in den Fußnoten, wandte sich Mohammed schließlich gegen die Juden von Medina.
    Die von Souhef in seiner Predigt zitierten Verse aus Al-Baqara waren also ursprünglich an diese Juden in Medina gerichtet, die sich gegen den Koran stellten und glaubten, sie – und nicht die Muslime – würden über die Wahrheit des Herrn verfügen. Die Verse lieferten zahlreiche Belege für Souhefs Behauptungen und schilderten Moses’ Probleme mit seinen eigenen Anhängern, einem Volk, das von Allah auserwählt war, aber aufgrund seiner Selbstsucht seine Liebe verlor. Und in Al-Baqara fand ich auch den Fluch, den Chatha zwei Jahre zuvor an jenem Dezemberabend zitiert hatte.
    Stimmen drangen durch mein geöffnetes Fenster. Dann Geschniefe. Ich stand auf und sah nach. Nathans Schuhspitzen ragten unter dem Dach der vorderen Veranda hervor. Mina redete mit ihm, aber ich verstand nicht, was sie sagte. Und dann hörte ich, klar und deutlich, dass er weinte.
    Ich ging nach unten ins Wohnzimmer. Am Fenster konnte ich sie sehen. Nathan hatte den Kopf in Minas Schoß vergraben und umklammerte weinend ihre Hüfte. Ich spürte, dass ich das nicht sehen sollte, konnte den Blick aber auch nicht abwenden. Außer im Fernsehen hatte ich noch nie einen erwachsenen Mann weinen sehen. Und als Mina ihm über den Kopf streichelte und er sie noch fester umklammerte – seine dünnen Finger wurden weiß, als er sie an sich drückte und festhielt –, fragte ich mich, worüber er eigentlich weinen musste. Wenn überhaupt, dann hatte er doch allen Grund, glücklich zu sein. Er würde Muslim werden. Souhef hatte ihm doch nur Gründe genannt – bessere als die, die er selbst hatte –, um einer von uns zu werden. Schließlich war er dann nicht mehr ein von Allah verachteter Jude. Was hieß, dass er nicht mehr unter Allahs Fluch zu leiden hatte. Das waren doch tolle Neuigkeiten. Aber freute er sich darüber? Natürlich nicht. Er war undankbar. Genau wie Souhef gesagt hatte. So waren die Juden. So undankbar, dass Nathan blind war für die Wahrheit, die er an diesem Nachmittag gehört hatte und die ihn hätte retten können. Genau aus diesem Grund hatte sich Allah von den Kindern Israels abgewandt.
    Der Koran hat recht , dachte ich. Sie werden sich niemals ändern .
    Vater, Mutter, Imran und ich waren in der Küche zum Essen versammelt, als Mina endlich von der Veranda hereinkam. Obwohl ihr die Enttäuschung anzusehen war – sie bewegte sich schlurfend und mit gesenktem Blick und antwortete nur einsilbig auf Mutters Frage, ob sie etwas essen wolle –, hatte sie auch etwas seltsam Zufriedenes an sich. Sie war umgeben vom selben verlockenden Glanz wie an jenem Nachmittag, als sie Nathan kennengelernt hatte. Murmelnd entschuldigte sie sich und vermied es, uns und vor allem Imran in die Augen zu sehen. Als sie zur Treppe ging, fragte Mutter, ob sie für Nathan decken solle.
    Mina blieb kurz stehen, schüttelte den Kopf und verschwand.
    Mutter verharrte kurz an der Küchentheke,

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