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Himmelssucher - Roman

Himmelssucher - Roman

Titel: Himmelssucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carl's books Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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»Weil es sich selbst liebt! Weil dieses Volk sich selbst mehr liebt als den Allmächtigen! Sie halten sich selbst für etwas Besseres! Sie glauben, sie hätten Besseres verdient als die anderen! Besseres als das, was man ihnen schenkt! Sie glauben, Sie hätten alles verdient, was sie wollen! Das haben sie immer wieder gezeigt, wie wir aus zahlreichen Beispielen im Koran wissen … und wie wir es natürlich noch immer tagtäglich in Palästina sehen …«
    Mürrisches Gemurmel brach sich Bahn: Es wurde gestöhnt und geflüstert, sich geräuspert, Gelenke knackten, Hemdsärmel und Hosen raschelten, die Gemeinde wurde unruhig. Nichts brachte muslimisches Blut mehr in Wallung als der Gedanke an die palästinensischen Brüder, die von den Juden aus ihrer Heimat vertrieben worden waren. Und obwohl das Thema zu Hause weder von meinen Eltern noch von Mina häufig angesprochen wurde, spürte sogar ich, wie auch mich der Zorn packte.
    Vater warf einen weiteren nervösen Blick zur Rückwand, wo Nathan saß. Er wandte sich zu mir, aber bevor er etwas sagen konnte, brüllte Souhef, beflügelt vom heftigen Unmut seiner Gemeinde:
    »Wir wissen alle, dass die Kinder Israels glauben, Ihnen stehe das Beste zu! Niemals sind sie zufrieden! Immer nehmen sie! Das war immer schon ihr Verderben, und wird auch immer ihr Verderben sein!«
    Vater packte mich an der Hand und erhob sich. Ich sträubte mich. Der Imam bemerkte Vater und sah ihn unumwunden an. »Versteht mich nicht falsch, Brüder: So verhasst der Jude euch und mir und dem großen Allmächtigen auch ist, so dürft ihr meine Botschaft nicht missverstehen: Ich möchte nicht sagen, dass ihr nicht ebenso enden könnt wie die Kinder Israels. Denn darum geht es. Sich selbst an die erste Stelle zu rücken, zu glauben, wir hätten Besseres verdient, als Allah uns zukommen lässt.« Souhef starrte immer noch auf Vater, sein Blick schien ihn an seinen Platz festzunageln. »Wenn es so weit kommt, laufen auch wir Gefahr, das Wohlwollen des Herrn zu verlieren. So wie sich der Allmächtige von den Kindern Israels abgewandt hat, die einst seine Lieblinge, sein auserwähltes Volk waren, so kann sich Allah auch von euch abwenden … Und wenn ihr seine Liebe verliert und seinen Zorn auf euch zieht, dann nur aus einem einzigen Grund, dem Grund, warum ich meinen Sohn angebrüllt habe: aus Selbstliebe!«
    Hinter uns kam es zu einem Tumult. Ich drehte mich um, sah aber nur in Chathas graue, stiere Augen.
    »Selbstliebe«, fuhr Souhef fort, »die gleiche Selbstliebe, die mich gestern denken ließ, ich wäre zu gut für den Schmerz. Als ich glaubte, ich hätte die Schmerzen in meiner Hand nicht verdient. Als ich meinem Sohn die Schuld dafür gab und ihn anschrie … in diesem Augenblick war auch ich ein Jude !«
    Der Tumult hinter uns nahm zu. Vater hatte mich mittlerweile auf die Füße gezerrt.
    Nathan hatte sich erhoben, sein Gesicht war rot vor Zorn. »Das ist abscheulich!«, rief er. Seine zitternde Stimme hallte durch den Gebetsraum. »Abscheulich! Das hat nichts mit dem Islam zu tun!« Er deutete auf den Imam. »Das hat nichts mit dem Islam zu tun! Das ist purer Hass.«
    Mit einem Mal waren alle auf den Beinen, alle drängten nach hinten. Vater eilte voran, schob sich durch die Versammelten, schleifte mich hinter sich her, während wir uns durch die Menge drängten. Als wir die Doppeltüren erreichten, wurde Nathan aus dem Raum geschoben.
    »Nathan!«, schrie Vater, während die Tür hinter Nathan zufiel.
    Ich sah zu Souhef. Er saß entspannt auf seiner Plattform und beobachtete das Gerangel vor sich wie ein Pascha eine Enthauptung.
    »Hayat! Was machst du? Los, komm!«, rief Vater. Meine Schulter schmerzte, als er mich mit einem Ruck durch die Tür und zur Schuhkammer zog. Dort in der Ecke und mit dem Rücken gegen die Schuhregale gedrängt stand Nathan auf einem Haufen Schuhe. Drei Männer rempelten ihn immer wieder gegen die Wand. »Magst du die Juden?«, keifte einer der jüngeren Männer und stieß Nathan den Finger gegen die Brust. »Ist das so? Magst du die Juden? Bist du selber ein Jude? Du bist ein Jude? Oder? Ein Jude?«
    »Lasst mich in Ruhe!«, schrie Nathan, schlug die Hand des Jüngeren weg und stolperte über die Schuhe unter sich.
    »Er sieht aus wie ein Jude«, sagte einer der anderen. »Schaut euch seine Nase an.«
    Vater stürmte voran und schob sich zwischen Nathan und die Männer. »Was zum Teufel ist mit euch los?«, schrie er und drängte die Männer weg. »Das ist ein

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