Himmelssucher - Roman
dann sah sie zu Vater.
»Geh schon«, sagte er. »Ich kümmere mich ums Essen.«
Mutter nickte und folgte Mina.
Nach dem Essen überließ Mutter mir das Geschirr. Sie und Vater standen draußen auf der Veranda und unterhielten sich. Ich wischte die Küchentheke, als sie nach drinnen kamen. Vater ging nach unten, um mit Imran zu fernsehen. Mutter blieb bei mir in der Küche. Sie sagte, Vater habe ihr erzählt, was am Nachmittag vorgefallen war. Jetzt wollte sie meine Version hören.
Ich sagte ihr, Souhef habe uns aus Al-Baqara vorgelesen.
Sie bat mich, den Koran zu holen und ihr die Stellen zu zeigen. Ich tat es.
Sie setzte sich an den Esstisch und überflog die Verse, auf die ich zeigte. Kopfschüttelnd las sie. Schließlich sah sie zu mir auf. »Was hat er in seiner Chutbah gesagt? Was genau hat Souhef über die Kinder Israels gesagt?«
»Er hat gesagt, sie lieben sich selbst und nicht Allah. Er hat gesagt, sie sind selbstsüchtig, und wir sollen nie so werden wie sie.« Das hatte wenig mit dem zu tun, was Mutter sonst immer über die Juden erzählte. Es tat gut, sie korrigieren zu können.
Mit finsterer Miene sah sie mich an. Dann wandte sie ihren Blick ab. Vom Wohnzimmer ertönte die Titelmelodie von CHiPs . »Der Mann überlegt, ob er konvertieren soll«, sagte sie leise. »Er hat die arme Frau schon gefragt, ob sie ihn trotzdem haben will, wenn er kein Muslim wird.« Sie strich sich über die tiefen Falten auf der Stirn. »Ich habe mich so angestrengt … und wenn es nicht klappt …« Sie verstummte und wirkte völlig hilflos. »Warum heute, Hayat?«, fragte sie flehentlich. »Warum ausgerechnet heute?«
Ich wartete. »Es war Allahs Wille«, sagte ich leise.
Die Antwort überraschte sie. Lange sah sie mir in die Augen, dann nickte sie, zögerlich und widerstrebend.
Vater saß unten auf der Couch, Imran rittlings auf seinem Knie. Er sah zu mir und klopfte auf den Platz neben sich. »Komm, Behta . Es hat gerade angefangen.«
Ich rührte mich nicht.
»Willst du es nicht sehen?«
»Nein.«
»Ich dachte, dir gefällt ChiPs ?«
»Ich liebe CHiPs , Dad!«, platzte Imran dazwischen. Ich hatte nie gehört, dass er meinen Vater so genannt hatte. Es versetzte mir einen Stich.
»Ich baue eine Burg«, erwiderte ich. »Oben in meinem Zimmer.« Ich wusste, dass ich damit Imrans Aufmerksamkeit hatte.
»Kann ich mitkommen?«, fragte er.
»Warum schauen wir nicht ein wenig CHiPs ?«, sagte Vater und rieb ihm zärtlich den Rücken. »Und danach gehst du hoch und spielst mit Hayat, okay?«
Imran nickte eifrig und kuschelte sich an Vaters Brust, als die Werbepause zu Ende war und die Sendung wieder losging.
Auf dem Weg in mein Zimmer verlangsamte ich meine Schritte, als ich mich Minas Tür näherte. Mutters Stimme war deutlich zu verstehen: »Was spielt es schon für eine Rolle? Es spielt keine Rolle! Lass ihn, wie er ist … und du bleibst, wie du bist! Das ist doch alles nicht so wichtig!« Auf Mutters leidenschaftliches Plädoyer folgte ein langes Schweigen.
Ich ging weiter.
Am Ende des Flurs nahm ich Laken aus dem Wäscheschrank, ging dann in mein Zimmer, breitete sie über meinen Schreibtisch und den Schreibtischstuhl und beschwerte die Ecken mit Bücherstapeln. Ich schaltete alle Lichter aus und schlüpfte hinein. Es war nicht viel Platz im Zelt, aber ich fühlte mich wohl darin. Wie in den Gräbern der Hafiz, dachte ich, die, wie Mina mir einmal erklärt hatte, über viele Jahrhunderte warmgehalten wurden, bis am letzten Tag der Schöpfung jeder von den Toten aufersteht und dem Jüngsten Gericht gegenüberzutreten hat.
»Kann ich reinkommen?«, hörte ich.
Es war Imran. Er hielt die Enden des Lakens hoch und spähte herein. Ich war eingeschlafen.
»Klar«, murmelte ich und drehte mich um.
Er kroch neben mich. Wir lagen nebeneinander und starrten hinauf zum Zeltdach, das von dem durchs Fenster fallenden Mondlicht erhellt wurde. Nach langem Schweigen sagte ich: »Mein Dad ist mein Dad, Imran. Nicht deiner.«
Er sagte nichts.
»Hast du mich gehört?«, fragte ich.
Imran drehte sich auf die Seite und sah mich an. »Er ist auch mein Dad …«, sagte er leise.
»Nein, ist er nicht. Er ist vielleicht für dich wie ein Dad. Aber er ist nicht dein richtiger Dad. Er ist mein Dad.«
»Er hat es aber gesagt.«
» Was hat er gesagt?«
»Dass er auch mein Dad ist.«
»Nein, hat er nicht. Vielleicht hat er gesagt, dass er dich liebt, als wäre er dein Dad …« Ich brach ab. »Und das ist sehr schön für
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