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Himmelssucher - Roman

Himmelssucher - Roman

Titel: Himmelssucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carl's books Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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besserer Mensch, als ihr jemals sein werdet!«
    Vater drehte sich um und schob Nathan mit aller Gewalt in Richtung Treppe. Dann hob er seine Schuhe auf.
    Die Doppeltür hinter uns stand mittlerweile offen. Männer hatten sich in der breiten Öffnung versammelt und beobachteten, was sich in der Schuhkammer abspielte. Ganz vorne stand Chatha und genoss mit strahlender Miene das Chaos, das sich vor ihm abspielte. Und hinter der Wand der Gaffer dröhnte Souhefs Stimme:
    Den Ungläubigen aber ist es gleich, ob du sie mahnend warnst oder nicht:
Sie bleiben ungläubig.
Allah hat ihnen Herz und Ohr verschlossen und
ihre Augen verhüllt.
Harte Strafe wartet ihrer.
    Mühsam stieg Nathan die Stufen hinauf, eine nach der anderen, er strauchelte mehr, als er ging. Einmal sah er zurück; sein starres Gesicht war blass, seine Augen waren weit aufgerissen vor Angst.
    »Hayat! Hayat!«, schrie mein Vater. »Nimm deine Schuhe!« Ich hob meine Sneakers auf. Er griff wieder nach meiner Hand, und ich stolperte hinter ihm die Treppe hoch. Hinter uns drängten die Männer zur Treppe vor. Chatha sah uns grinsend nach. Am ersten Treppenabsatz blickte ich nach oben. Etwa ein Dutzend Frauen standen auf der Treppe, ihre verhüllten Gesichter ragten über das Geländer, das sich spiralförmig zum obersten Stockwerk hinaufzog. Nathan hatte bereits die Moschee verlassen und ging barfuß über den schwarzen Asphalt.
    »Drecksjude«, hörte ich eine Frau sagen, als wir nach draußen eilten.

11
    DIE WENDUNG
    V ater bog auf den Highway ein, worauf das Armaturenbrett plötzlich im grellen Gegenlicht der Sonne aufblitzte. Blinzelnd drehte sich Nathan zur Seite und kurbelte das Beifahrerfenster hinunter. Der Verkehrslärm zerschnitt die angespannte Stille.
    »Willst du es offen lassen?«, fragte Vater. »Ich kann auch die Klimaanlage ausstellen?«
    Nathan antwortete nicht. Er schien noch nicht einmal wahrgenommen zu haben, dass er angesprochen worden war, sondern starrte nur aus dem Fenster und trotzte dem heftigen Fahrtwind.
    Vater warf einen schnellen Blick über die Schulter, überprüfte den toten Winkel, wechselte die Fahrspur und sah verstohlen zu Nathan.
    Kommentarlos kurbelte Nathan das Fenster hoch.
    Wieder sah Vater zu seinem Freund. »Ich verstehe nicht, was in seinem Kopf vorgeht«, sagte er. »Wirklich nicht.«
    Wieder antwortete Nathan nicht. Er saß nur mit versteinerter Miene da und hielt gegen das grelle Sonnenlicht die Augen fest geschlossen.
    Zögernd fuhr Vater fort: »Wie muss jemand drauf sein, wenn er den ganzen Tag herumsitzen und darüber sinnieren kann, dass er sich mit einer Zange verletzt hat? Und für welche Idioten hält er uns eigentlich? Glaubt er allen Ernstes, wir würden diesen Mist ernst nehmen?«
    Nathan rührte sich nicht. Aber er hörte zu. Genau wie ich.
    »Nate«, sagte Vater und sah wieder zu seinem Freund, »ich kenne diesen Typen mittlerweile seit zehn Jahren, und ich sage dir … ich habe noch nie gehört, dass irgendwas Vernünftiges aus seinem Mund gekommen wäre.«
    Eine lange Pause.
    »Kann ich dich was fragen?«, sagte Nathan schließlich.
    »Natürlich.«
    »Was hättest du getan, wenn ich nicht da gewesen wäre?«
    »Wenn du nicht da gewesen wärst?«, wiederholte Vater verblüfft.
    »Hättest du dir die Predigt bis zum Ende angehört? Wärst du zum Gebet geblieben, nachdem die Predigt zu Ende war … wenn ich nicht da gewesen wäre?«
    »Wenn du nicht da gewesen wärst? Wenn du nicht da gewesen wärst, wäre ich auch nicht da gewesen, Nate«, sagte Vater lachend.
    »Ich meine es ernst.«
    »Ich auch«, sagte Vater. »Vergiss nicht, ich habe dir gesagt, dass es keine gute Idee ist. Ich habe es dir oft genug gesagt. Aber du wolltest ja unbedingt hin.«
    »Und warum hast du es für keine gute Idee gehalten?«, fragte Nathan in plötzlich scharfem Ton. »Weil du gewusst hast, dass so was passieren kann?«
    »Ich wollte nicht, dass du hingehst, weil diese Leute Idioten sind! Schlicht und einfach! Sie wissen mit ihrer Zeit nichts Besseres anzufangen, als unsere Intelligenz zu beleidigen. Als ich das letzte Mal eine von Souhefs dämlichen Chutbahs ertragen musste, hat dieser Einfaltspinsel erzählt, wie viele Jahre wir in der Hölle schmoren würden, wenn wir eine Lüge erzählen, und wie viele Jahre, wenn wir unsere Eltern nicht achten, und wie viele Jahre, wenn wir unsere afghanischen Brüder nicht unterstützen, die gegen die Sowjets kämpfen. Er hatte sich alles zurechtgelegt. Siebzig Jahre für dieses.

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