Himmelssucher - Roman
Öffnung. »Was bedeutet das?«, fragt er und deutete auf die Nachricht.
»Was?«
»Kafir?«
»Es bedeutet … äh …« Ich wusste nicht recht, ob ich es ihm sagen sollte.
»Ja?«
»Jemand, der nicht an Gott glaubt.«
Angewidert gluckste er vor sich hin. Er sah mich an, seine blauen Augen funkelten kalt, und kurz war ich erleichtert, weil ich hoffte, er würde mir sagen, dass er es nicht wegschicken könnte.
»Leute wie die«, sagte er schließlich, »die finden das noch früh genug heraus. Wenn das Höllenfeuer über sie hereinbricht und sie nicht wissen, was sie verschlungen hat.« Er sah mich an, hielt mein Formular hoch und lächelte. »Ich schick es gleich weg. Sofort.«
Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten.
Dunkel erinnerte ich mich an einen nächtlichen Tumult, durch den ich kurz wach geworden war. Am folgenden Morgen saß Mutter mit bitterernster Miene am Küchentisch.
»Du wirst es nicht glauben, Behta «, sagte sie, »aber Hamed weiß von Nathan. Er droht damit, das Kind zurückzuholen.« Mutter schüttelte den Kopf. »Ich meine, ich glaube nicht, dass er das machen kann … zumindest nicht, solange sie hier im Land ist …« Sie sah weg. »O Gott«, seufzte sie.
Ich war schockiert. Das alles hatte ich so nicht beabsichtigt.
»Er hat ihre Eltern angerufen und ihnen alles erzählt. Und dann haben sie mitten in der Nacht hier angerufen. ›Wer ist Nathan? Was geht hier vor sich?‹ Natürlich hat sie ihnen nichts erzählt. Natürlich hat sie gelogen. Sie hat gesagt, es gibt niemanden, der Nathan heißt … Weißt du, was ihr Vater gesagt hat? Sollte sie jemals einen Kafir heiraten, wollten sie nichts mehr mit ihr zu tun haben.« Mutter hielt inne. »In Wahrheit hat er noch mehr gesagt. Er hat gesagt, er würde kommen und ihr jeden Knochen im Leib brechen. Er hat ihr schon mal ein paar Knochen gebrochen.« Sie stand auf. »Na, jetzt ist es jedenfalls endgültig vorbei. Das war’s dann. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Was bin ich bloß für eine Idiotin! Eine Idiotin, die irgendwelchen Fantasien nachhängt, Hirngespinsten. Das bin ich, Behta . Und war ich schon immer.« Plötzlich deutete sie auf mich. »Und du hast das auch in dir. Sei dir darüber im Klaren. Fantasien sind nur was für Idioten, Hayat! Für Idioten ! Sei kein Idiot!« Sie wandte sich ab, auf ihrem Gesicht ein verdutzter Ausdruck, als sie vor sich hin murmelte: »Sonny Buledi? Ausgerechnet er? Warum? Woher hat er überhaupt gewusst, wohin er es schicken muss?«
Mutter sah mich nicht an. Hätte sie es getan, hätte sie bemerken können, dass mir alles andere als wohl in meiner Haut war.
»Wo ist Tante Mina jetzt?«, fragte ich nach einer langen Pause.
»Dein Vater ist mit ihr zu einem Anwalt gefahren. Sie ist völlig durch den Wind … verständlich. Dieser verdammte Kerl droht damit, ihr den Sohn wegzunehmen!« Erneut, immer noch fassungslos, schüttelte sie den Kopf. »Sonny Buledi … Was hat der sich bloß gedacht?«
Mutter trat an den Herd, um mit der Zubereitung des Frühstücks zu beginnen. Und während sie mir Spiegeleier briet, wiederholte sie das Wenige, das sie wusste, erging sich abwechselnd in Selbstanklagen und Wutausbrüchen und ihrer Fassungslosigkeit, wie das alles überhaupt hatte passieren können. Mir wurde schwindlig, als ich alles noch einmal hörte – dass Mina Imran verlieren, dass ihr Vater ihr alle Knochen im Leib brechen könnte.
Was hatte ich getan?
Mutter stellte einen Teller mit Ei und einer Scheibe Toast vor mich hin. Ich rührte es nicht an. Sie aß ebenfalls nichts. »Das ist alles schon schlimm genug. Mach es mir nicht noch schwerer, Hayat.«
Ich zwang mich zu ein paar Bissen. Ich ließ das Eigelb zerplatzen und schob das Essen auf dem Teller hin und her, bis alles eine einzige Sauerei war. Schließlich ließ sie mich gehen.
Oben in meinem Zimmer fiel ich auf die Knie.
»Bitte, lass es nicht zu, dass ihr jemand Imran wegnimmt. Allahmia. Bitte. Ich mache alles für dich. Alles. Ich lerne den Koran noch schneller auswendig. Ich werde ein Maulvi. Was du willst. Egal was. Irgendwas. Alles. Nur lass nicht zu, dass sie Imran verliert. Bitte lass nicht zu, dass ihr Vater ihr alle Knochen im Leib bricht. Bitte, bitte, bitte …«
Dabei sah ich den Mann mit dem Mal im Gesicht vor mir, der kauend im Schalterraum mit den zerrissenen und zerknüllten Formularen auf dem Boden stand. Immer wieder durchlebte ich den Moment, in dem ich das Formular festgehalten hatte, nur
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