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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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in diesem Fall, ganz bedeckt und nicht zu sehen war. Daniel hörte, wie ein paar Leute »Mattias Block« flüsterten. Er beobachtete die versammelten Bewohner und fragte sich, was sie wohl fühlten. Aber er sah nur unbewegte Gesichter. Das Flüstern schien nicht mehr als eine Feststellung zu sein.
     
    Daniel ging in den Speisesaal und aß zu Mittag. Fünf Minuten vor zwei war er wieder an der Rezeption.
    Sofie, ein dünnes Geschöpf mit Rehaugen, stand hinter dem Tresen und sortierte etwas. Die Hostessenuniform war ihr etwas zu groß und sah mehr wie eine Schuluniform aus.
    »Du hast gestern meinen Bruder begrüßt, nicht wahr?«, sagte er.
    Sie schaute auf und schüttelte energisch den Kopf.
    »Während meiner Schicht waren keine Besucher hier.«
    »Du hast also nicht diesen Zettel geschrieben?«, sagte Daniel und zeigte auf die Pinnwand hinter ihr.
    Sie nahm den Zettel ab und las ihn.
    »Nein«, sagte sie ernst. »Der war nicht hier, als ich Dienst hatte. Jemand muss ihn später angebracht haben.«
    »Und wer hatte nach dir Dienst?«
    »Mathilde.«
    »Mathilde? Aber mit ihr habe ich doch gerade gesprochen. Sie hat den Zettel auch nicht geschrieben. Sie meinte, du seist es gewesen«, sagte Daniel konsterniert.
    »Gestern haben nur wir beide in der Rezeption gearbeitet. Merkwürdig. Warte, ich schaue im großen Buch nach.«
    Sie schlug das grüne Buch auf, in das Daniel sich einge
schrieben hatte, als er ankam. Es kam ihm vor, als sei es eine Ewigkeit her.
    »Wir haben in den letzten beiden Wochen überhaupt keine Besucher gehabt.«
    Sie schlug das Buch zu, zuckte mit den Schultern und fügte in lockerem Ton hinzu:
    »Jemand erlaubt sich einen Scherz mit dir.«
    Sie wollte gerade den Zettel zusammenknüllen, als Daniel die Hand ausstreckte.
    »Kann ich ihn haben?«
    Er hatte die Stimme von Max gehört, davon war er überzeugt. Die Reichweite des lokalen Mobilnetzes war auf das Tal beschränkt. Man konnte von außen nicht hier anrufen. Max muss sich irgendwo in der Nähe befunden haben. Und aus irgendeinem seltsamen Grund schien er das Handy von Karl Fischer benützt zu haben.
    Daniel erinnerte sich an den einzigen Mittsommer, den die Brüder zusammen gefeiert hatten. Der Vater und Anna hatten in jenem Sommer eine alte Lotsenwohnung in Bohuslän gemietet und die Mutter und Daniel dorthin eingeladen. Die ganze Familie spielte im verwunschenen Garten Verstecken. Als Max an der Reihe war, sich zu verstecken, fanden sie ihn nicht. Vergeblich suchten sie ihn an allen denkbaren Orten – in den Beerenbüschen, dem Plumpsklo, dem Holzschuppen und dem Erdkeller –, dann weiteten sie die Suche aus, unter dem Bootssteg, im Bootsschuppen und zwischen den Felsspalten. Als man auf dem Nachbargrundstück einen alten Brunnen mit einem vermoderten Holzdeckel fand, steigerte sich die Unruhe. Jemand lief nach Hause, um eine Leiter und eine Taschenlampe zu holen, und traf dort auf Max, der in seinem Zimmer unter dem Dach saß und die letzten Reste der Torte verspeiste. Er hatte einfach keine Lust mehr gehabt und war ins Haus gegangen. Vom Fenster aus hatte er beobach
tet, wie die anderen nach ihm suchten, und sich über ihre Unruhe gefreut.
    Saß er jetzt auch irgendwo und lachte?
     
    Niemand öffnete, als er an Corinnes Tür klopfte, und sie antwortete auch nicht am Handy. In der Bierstube konnte sie nicht sein, die war noch nicht geöffnet. Daniel wurde unruhig.
    Kurz darauf fand er sie in der Kirche. Die Messe war erst viel später, sie war ganz allein in dem großen Raum. Daniel blieb am Eingang stehen und betrachtete sie, ohne dass sie es merkte.
    Corinne stand an der länglichen Kerzenkiste am Altar. Ein Lichtstrahl, der durch die Cherubim der Glasmalerei auf ihr Gesicht fiel, färbte es rosa. Sie steckte eine Kerze in den Sand, zündete sie an und bekreuzigte sich.
    Sie blieb eine Weile stehen und betrachtete die Kerze, dann ging sie zu einem kleinen Bild, das die Madonna mit dem Kind zeigte. Sie steckte eine weitere Kerze in den Ständer vor dem Bild und zündete auch sie an.
    Daniel machte ein paar vorsichtige Schritte in die Kirche. Blitzschnell drehte sie sich um, die Hand im Kreuzzeichen festgefroren. Der Kerzenschein flackerte.
    »Mein Gott, hast du mich erschreckt«, keuchte sie und ließ die Hand fallen. »Warum schleichst du dich so an?«
    »Entschuldige. Ich wollte dich nicht stören«, sagte er und blieb im Mittelgang stehen. »Ich habe dich gesucht. Soll ich wieder gehen? Du möchtest vielleicht allein

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