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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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Energie verschlang: die Erforschung der Psychopathen. Mir wurde klar, dass die meisten, die sich mit diesem Thema befassten, keine Ahnung hatten, wovon sie redeten. Man befasste sich mit den impulsgesteuerten Krawallbrüdern und ließ die Ruhigen und Schlauen unbehelligt. Nimmst du es mir übel, wenn ich über all das spreche?«
    Während der Doktor sprach, war es Daniel immer kälter geworden. Er musste an die beiden Türen denken, die Karl Fischer aufgeschlossen hatte.

 
    52  »Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gerne über etwas anderes sprechen«, sagte er. Er versuchte, nicht auf die Tür zu schauen. »Sie wissen also, dass ich nicht Max bin, und Sie haben kein Recht, mich hier festzuhalten. Ich bin hierhergekommen, weil mein Bruder mich treffen wollte …«
    »Nein, nein, nein«, unterbrach Karl Fischer ihn mit einer abwehrenden Handbewegung. »Ganz falsch. Du bist hierhergekommen, weil ich dich treffen wollte. Dein Bruder hat so einen Wunsch nie geäußert. Aber als ich sah, dass Max einen Zwilling hat, beschloss ich, dich nach Himmelstal zu holen.«
    »Sie haben das beschlossen, Doktor Fischer?«
    »Ja, natürlich. Es ist allgemein bekannt, dass erbliche Faktoren eine gewisse Rolle für die Psychopathie spielen – in welchen Ausmaß, darüber herrscht noch Uneinigkeit. Ich habe bisher nur zwei oder drei Psychopathen von der völlig beherrschten Sorte getroffen. Einer von ihnen war mein eigener Vater. Er war ein angesehener Augenarzt mit tadellosem Ruf und verbarg es gut. Aber er hatte etwas, das mir bekannt vorkam, und je älter ich wurde, desto sicherer war ich meiner Sache. Wenn Vater und Sohn Träger des gleichen Gens sein können, müsste das nicht in noch höherem Grad für eineiige Zwillinge gelten?«
    Er machte eine Pause, kniff ein Auge zu und betrachtete Daniel listig.
    »Sie sagen, Sie hätten mich hierher geholt«, sagte Daniel. »Wie denn?«
    Er beugte sich vor, als wäre er an Doktor Fischers Antwort interessiert, aber tatsächlich schaute er zur Tür. Für die äußere Tür hatte man einen Code benötigt. Brauchte man auch einen Code, um hinauszukommen?
    Das wäre vom Standpunkt der Brandsicherheit natürlich Wahnsinn. Aber Daniel hatte erfahren müssen, dass man es in diesem Krankenhaus mit der Brandsicherheit nicht so wichtig nahm.
    »Ich war mit Max fertig«, sagte Karl Fischer kurz. »Nach ein paar Gesprächen mit ihm erkannte ich, dass er ziemlich uninteressant war. Seine Geschichte, bevor er hierherkam, und einige Vorfälle mit anderen Bewohnern deuteten darauf hin, dass er so ein impulsgesteuerter Krawallbruder war, der gewalttätig wurde, ohne an die Folgen zu denken. Solche haben wir hier genug. Ich war an dir interessiert. Aber es war natürlich nicht möglich, einen gesetzestreuen, gesunden Mitbürger nach Himmelstal einzuweisen. Als ich im Internet einige neuere Fotos von dir sah, fiel mir eure Ähnlichkeit auf. Ich musste euch also austauschen. Max dazu zu überreden war nicht schwer. Er war begeistert von meinem Plan und schrieb dir einen Brief. Als ich ihn gelesen hatte, brachte ich ihn an der Zensur vorbei mit der Personalpost auf den Weg.«
    »Und Sie haben das Geburtsdatum im Krankenblatt verändert?«
    »Das habe ich gleich gemacht, nachdem Max hierherkam. Aber du hast offenbar einen sehr frühen Ausdruck in die Finger bekommen. Darf man fragen wie?«
    Daniel schwieg.
    »Nun ja, das ist jetzt auch nicht mehr wichtig. Auf diesen Fotos im Internet warst du bärtig und hattest eine ziemlich wilde Frisur, dazu eine Brille. Das gefiel mir, denn Max trug weder Bart noch Brille. Ich ermahnte ihn sich weiter zu rasieren und sich die Haare richtig kurz schneiden zu lassen, damit nicht auffiel, dass ihr Zwillinge seid. Und es hat ja auch alles perfekt geklappt, nicht wahr? Max bekam seine Freiheit und ich den Zwilling, den ich haben wollte. Offiziell war nichts passiert, außer dass
Max ein paar Tage lang seinen älteren Bruder zu Besuch gehabt hatte. Dass er sich danach ein wenig eigenartig benahm und bizarre Dinge behauptete, damit muss man an so einem Ort wie hier rechnen, nicht wahr?«
    Daniel nickte mechanisch. Er konnte sich kaum auf das konzentrieren, was Doktor Fischer sagte. Er war müde, und seine Gedanken nahmen eigenartige Wege, ganz außerhalb seiner Kontrolle, so wie es ihm vor dem Einschlafen oft passierte. Wie viel Uhr war es eigentlich? Wie lange saß er schon hier und hörte Doktor Fischer zu? Und wo war eigentlich »hier«? Einen kurzen Moment lang

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