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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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konnte, sagte sie leise:
    »Ich habe dieses Tal manchmal so satt.«
    »Warum bist du dann hier?«
    Sie warf ihm einen schnellen Blick zu.
    »Ich frage dich auch nicht, warum du hier bist«, sagte sie.
    »Du kannst mich gerne fragen, wenn du willst.«
    »Will ich aber nicht.«
    Eine Kuh war bis an den Friedhof gekommen, sie rieb ihre Hörner am Eisenzaun, die Glocke um ihren Hals klingelte heftig. Er musste lauter sprechen:
    »Wenn du nicht in Himmelstal wärst, wo würdest du dann sein wollen?«
    »Rein hypothetisch?«
    »Ja.«
    Sie schaute zum Himmel, holte tief Luft und sagte:
    »In einer europäischen Großstadt. Wo ich an einem kleinen Theater arbeiten und meine eigenen Sachen machen kann. Meine eigenen Stücke inszenieren. Regie führen. Ich bin ausgebildete Schauspielerin.«
    Er nickte.
    »Das habe ich mir gedacht.«
    Und hätte am liebsten hinzugefügt: Ich komme mit dir, Corinne. Ich kann dich versorgen, bis du dein Theater gefunden hast. Ich bin Dolmetscher, ich finde überall Arbeit.
    Einen Moment lang hatte er diese Zukunftsvision vor Augen, scharf bis ins kleinste Detail, Corinne und er in einer altmodischen Wohnung an einem Park. Corinne in Jeans und T-Shirt mit einer Brille auf der Nase, im Schneidersitz auf dem Boden sitzend, mitten in einem Sonnenstreifen, der grün war von all dem Grün vor dem Fenster, in ihren sommersprossigen Händen hielt sie ein Manuskript.
    »Du hast neulich mit Samantha zu Abend gegessen«, sagte Corinne.
    Daniel zuckte zusammen. Samantha? Die Frau, die schon acht Jahre in der Klinik war. Daniel hatte sie seit jenem Abend nicht mehr gesehen, und es war ihm fast gelungen, sich einzureden, dass ihr Zusammentreffen ein Traum war, zumindest der zweite Teil.
    »Woher weißt du das?«, fragte er erstaunt.
    Corinne zuckte mit den Achseln und schnitt noch eine Scheibe Käse ab. Die Kuh hatte aufgehört, sich an dem Zaun zu reiben, sie beobachtete sie interessiert über den
Zaun und die Reihen von schief stehenden Kreuzen hinweg. Die Glocke war stumm.
    »Ihr Dorfbewohner scheint einen guten Kontakt zur Klinik zu haben«, fuhr er fort. »Die meisten Gäste der Bierstube sind Patienten von dort, nicht wahr? Gestern Abend habe ich einige erkannt.«
    »Wirklich?«, sagte sie mit müder Ironie.
    »Betuchte Kundschaft, die nicht so viel Auswahl hat.«
    »Da hast du völlig recht. Aber was willst du damit sagen?«
    »Ich nehme an, dass die Geschäftsleute im Dorf von den Patienten der Klinik leben. Es ist eine große Klinik. Da wohnen sicher mehr Menschen als im eigentlichen Dorf? Und einige von euch Dorfbewohnern arbeiten wohl in der Klinik? Küchenarbeit und Putzen und so.«
    »Ja, natürlich.«
    »Die Klinikleitung wiederum ist nett zu euch, lässt euch das Sportstudio, den Swimmingpool und die Bibliothek benutzen. Und als Gegenleistung seid ihr nett und verratet, wenn jemand abzuhauen versucht. Und ihr nehmt nie jemanden mit, der von hier wegwill. Habe ich recht?«
    Sie lachte und schüttelte den Kopf und wickelte den Käse in Wachspapier ein.
    »Ich weiß wirklich nicht, was du da redest.«
    »Du bist der erste freundliche Mensch, den ich hier treffe«, fuhr Daniel fort. »Alle anderen waren unfreundlich. Niemand hat mir helfen wollen.«
    Sie saß da, den eingewickelten Käse in der Hand, und starrte ihn mit einem Ausdruck totaler Verwirrung an. Die Kuh interessierte sich nicht mehr für sie, sie graste wieder am Hang.
    »Dir helfen? Wobei?«
    »Du glaubst, du sprichst mit Max, nicht wahr? Du kennst ihn? Erinnerst du dich an den bärtigen, langhaa
rigen Typ, der letzte Woche neben Max in der Bierstube saß? Seinen Bruder?«
    Sie nickte zögernd. Sie sah ängstlich aus.
    »Ich werde dir erzählen, wie es ist.«
    Und das tat er.
    Sie fingerte an ihrem Armband herum und beobachtete ihn aus den Augenwinkeln.
    »Zwillinge?«, sagte sie.
    Er nickte.
    »Du glaubst mir doch?«
    »Ich weiß nicht. Das würde erklären, warum du so komisch redest. Und du bist tatsächlich ganz anders. In der Art, meine ich.«
    »Du musst mir helfen, von hier wegzukommen, Corinne. Niemand glaubt mir. Wie weit ist es bis in die nächste Stadt?«
    Sie lachte.
    »Weit.«
    »Hast du ein Auto?«
    »Ich habe nicht mal einen Führerschein.«
    »Aber du kennst doch jemanden, der ein Auto hat?«
    Sie schaute ihn traurig an.
    »Das geht nicht. Ich würde dir gerne helfen. Glaub mir. Aber nur die Ärzte können dich hier rauslassen. Die Ärzte entscheiden.«
    »Entscheiden sie auch über dein Leben?«
    Sie biss sich auf die

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