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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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Spiegelbild den Rücken zu und lehnte sich mit der Stirn an die kühlende Glaswand. Der Steinboden und die Pflanzen in der Eingangshalle kamen auf ihn zu gesaust. Warum hatte Max ein falsches Geburtsdatum angegeben? Hatte er die Klinik für immer verlassen?
    Plötzlich erinnerte er sich an die Geschichte, die Max erzählt hatte, von dem Mann, der das Boot zur Hölle ruderte. Lass jemand anders die Ruder übernehmen.
     
    Hannelores Bierstube war an diesem Abend gut besucht.
    Corinnes Auftritt hatte schon begonnen. Dieses Mal trug sie keine Tracht, und auch die Kuhglocke fehlte. Sie war als Matrosenmädchen verkleidet. Sie trug weite Seemannshosen, eine Jacke mit blauen Biesen am Kragen und eine Matrosenmütze mit einer kleinen runden Troddel. Ihr Begleiter mit der Ziehharmonika hatte eine weiße Kapitänsuniform an und eine Schirmmütze auf dem Kopf. Sie sangen deutsche Seemannslieder, der Auftritt war genauso theatralisch, abgeschmackt und charmant wie die Nummer mit der Kuhglocke.
    Daniel saß wieder am Tisch ganz hinten in der Ecke. Er war schon bei seinem zweiten Krug Bier, die Leute in dem dunklen Lokal waren laut, die kleinen gläsernen Blätter am Kerzenhalter glitzerten gelb und rot wie Herbstlaub. Er musste jemanden finden, der ihn von hier wegbrachte. So bald wie möglich und ohne dass die Klinik etwas davon erfuhr.
    Corinnes Augen wanderten von rechts nach links, so wie diese Figuren auf Scherzpostkarten ihre Augen verdre
hen. Mit wiegendem Gang, als befände sie sich auf einem Schiff im Sturm, ging sie zu Daniels Tisch. Sie schien nur für ihn zu singen. Im sparsamen Schein der Teelichter sah er ihr Make-up: hellblauer Lidschatten bis hinauf zu den Brauen, grell und glitzernd wie der Staub auf einem exotischen Schmetterling.
    Wie hypnotisiert streckte er die Hand aus und berührte sie leicht am Arm. Sie zwinkerte ihm zu und kehrte dann an ihren Platz und zu ihrem Begleiter zurück.
    Wie gut kannte sie Max? Würde sie ihm helfen, eine Mitfahrgelegenheit zu finden, wenn er ihr seine Situation erklärte?
    Nach dem Ende des Auftritts blieb er noch sitzen und wartete, dass Corinne noch einmal käme. Aber sie war irgendwohin verschwunden und zeigte sich nicht mehr.
    Als der Kuckuck in der Uhr halb zwölf rief, entstand Aufbruchstimmung. Daniel verließ die Bierstube und ging mit raschen Schritten durch den kühlen Regen zur Klinik hinauf. Er merkte, dass die meisten Gäste den gleichen Weg hatten.
    Als er die Tür zur Hütte aufschloss, hörte er links von sich eine Stimme:
    »Du bist gerne lange weg, was?«
    Hinter dem roten Auge der Zigarettenglut ahnte er den Nachbarn wie einen großen Schatten, einen dunkleren Teil des Dunkels.
    »Freut mich, dass du wieder da bist, Marko. Geht es dir gut?«, sagte Daniel.
    Er bekam keine Antwort, deshalb fuhr er fort:
    »Ich war nur unten im Dorf und habe ein Bier getrunken.«
    Marko atmete schwer und schnaufte durch die Nase. Er klang wie ein alter Hund. Das vorspringende Dach schützte ihn vor dem Regen, der leise und unsichtbar fiel.
    »Mach, was du willst«, schnaubte er. »Ich gehe nie irgendwohin, wenn es dunkel ist. Ich gehe kein Risiko ein.«
    »Das ist vielleicht klug. Gute Nacht.«
    Ob er wohl freiwillig irgendwohin geht, dachte Daniel. Er schien an seiner Hüttenwand festgewachsen zu sein.
    Er fuhr den Computer hoch, machte das Mailprogramm mit Corinnes Nachricht von vor einer Woche auf und schrieb eine Antwort:
     
    Deine Vorstellung heute Abend hat mir gut gefallen. Du warst wunderbar als Matrosenmädchen.
     Gilt dein Angebot zum Picknicken noch? Wenn ja, komme ich gerne so bald wie möglich mit.
     Entschuldige, dass ich erst jetzt antworte. Es ist alles ein bisschen kompliziert. Ich werde es später erklären.
     
    Nach einem kurzen Zögern hinsichtlich der Unterschrift entschied er sich für:
     
    »Max«
     
    Kaum hatte er die Mail abgeschickt, trat eine Hostess ein.
    »Alles klar, Max?«
    »Ich habe schon Ihrer Kollegin erklärt, dass ich der Bruder von Max bin. Hat man Ihnen das nicht mitgeteilt?«, sagte Daniel ärgerlich.
    »Nicht dass ich wüsste«, sagte die Hostess fröhlich. »Möchtest du etwas zum Schlafen haben?«
    Sie öffnete ihre Schultertasche und schaute hinein.
    »Nein danke.«
    Aus dem Computer kam ein Signal, und als er auf den Bildschirm schaute, sah er, dass er schon eine Antwort von Corinne bekommen hatte.
    Daniel machte die Mail auf:
     
    Morgen um neun am Springbrunnen
     
    stand da kurz und knapp.

 
    25  Die Luft war kühl

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