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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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gerade eine Eingebung gehabt. »Das mach ich, verdammt. Tannenreisig. Das wird hübsch.«
    Tom redete ununterbrochen, Daniel beobachtete ihn durch die Zweige. Er bemerkte, dass sein Griff um das Messer sich lockerte, je eifriger er redete, und mit der nächsten schwungvollen Geste fiel es ihm aus der Hand. 
    Daniel schätzte den Abstand zwischen Tom und dem Messer auf dem Boden ab. Tom besaß die geschmeidigen schnellen Bewegungen eines jungen Menschen, aber die grauen Haare und die Falten im Gesicht deuteten darauf hin, dass er über sechzig war, und er sah auch nicht sehr stark aus. Wie lange würde es dauern, bis er das Messer aufhob? Ein paar Sekunden vielleicht. Dann wäre es zu spät, den gefesselten Mann zu retten. Und auch zu spät, sich selbst zu retten.
    Daniel trat zwischen den Zweigen hervor, und mit ein paar schnellen Schritten war er hinter Toms Rücken. Der bemerkte ihn zunächst nicht, er redete und gestikulierte weiter, bis Daniel ihm den linken Arm um den Hals legte und ihn zu Boden zog. Der Hut fiel herunter, die langen grauen Haare berührten Daniels Gesicht, überraschend weich und leicht, wie Wollgras.
    Daniel setzte sich rittlings auf Toms schmalen Brustkorb und versuchte, dessen Arme mit den Knien festzuhalten. Tom wand sich unter ihm, spuckte und zischte. Es war, als hätte er ein Tier gefangen, dachte Daniel. Ein sehr wildes, gefährliches und listiges Tier.
    Und im nächsten Moment hatte das Tier eine Klaue, rot vom Blut des Beutetiers. Tom hatte das Messer am Boden zu fassen bekommen.
    Daniel sprang auf und trat, so fest er konnte, auf Toms Hand. Es knackte, als würde ein Zweig brechen. Das Messer flog zur Seite, und Daniel trat es zwischen die Tannen. Er warf sich wieder auf Tom und drückte den sehnigen Körper auf den Boden. Tom spuckte ihm ins Gesicht, der gefesselte Mann brüllte, und die Kuhglocken bimmelten.
    »Okay, immer mit der Ruhe«, rief da eine gebieterische Stimme.
    Daniel schaute sich um und drehte dabei Toms Arm nach oben. Aus allen Richtungen kamen uniformierte Männer mit gezogenen Pistolen zwischen den Bäumen hervor.
    »Keiner bewegt sich. Bleibt, wo ihr seid.«
    Der Gefesselte stieß ein hysterisches Lachen aus. Ob aus Erleichterung über die Rettung oder wegen der unabsichtlichen Ironie des Befehls, der gerade an ihn gerichtet worden war, war schwer zu sagen, aber er lachte auch noch, als er vom Baum losgebunden und auf einer Trage weggebracht wurde.
    Tom saß auf dem Boden und starrte auf seine rechte Hand, die schlaff im Schoß lag. Er streichelte sie vorsichtig mit der linken Hand, wie ein verletztes Vögelchen.
    »Du hast meiner Hand weh getan«, flüsterte er und schaute Daniel vorwurfsvoll an. »Etwas ist gebrochen. Meine Arbeitshand.«
    Zwei der Uniformierten packten Tom und zogen ihn auf die Füße. Er jaulte wie ein Hund, als sie ihm Handschellen anlegten.
    »Die Hand, die Hand«, jammerte er. »Meine Arbeitshand, passt auf. Sie ist verletzt.«
    Daniel sagte nichts, als man ihm Handschellen anlegte. Er war so überrascht, dass er nichts sagen konnte. In der Welt, in der er sich gerade befand, konnte alles passieren, das hatte er inzwischen verstanden.
    Die Männer führten ihn aus dem Wald heraus. Corinne stand ein Stück weiter weg auf der Wiese und sprach in ihr Handy. Sie war blass und konzentriert. Als Daniel zwischen zwei uniformierten Männern an ihr vorbeiging, rief sie ihm zu:
    »Ich habe alles gesehen. Ich kann es bezeugen. Sei ganz ruhig.«
    Die gerade noch so friedliche Wiese wimmelte jetzt von Männern in Uniform, oben an der Straße standen mehrere Fahrzeuge, Transporter und Personenwagen.
    Der verletzte Mann wurde in einen Transporter gebracht, der schnell davonfuhr. Tom kam in einen anderen Transporter und Daniel in einen dritten. Er saß in einem Wagen ohne Fenster, an den Wänden waren Sitze angebracht. Obwohl seine Hände gefesselt waren, wurde er zu seinem Erstaunen auch noch mit einem Hüftgurt am Sitz festgebunden. Zwei Polizisten setzten sich ihm gegenüber. Denn es waren doch Polizisten? Wie sonst konnten sie solche Befugnisse haben?
    Daniel starrte auf den geschlossenen Gurt und rief:
    »Warum nehmt ihr mich fest? Ich habe doch nicht …«
    Der eine Polizist machte eine abwehrende Geste.
    »Das werden wir später sehen. Jetzt wollen wir erst mal nur Ruhe im Tal haben.«
    Die hinteren Türen wurden von außen verschlossen, an der Decke ging eine Neonröhre an. Das Licht war erst schwach und gespenstisch, wurde jedoch heller, als

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