Himmelstiefe
wollte. Aber man erreichte nie den Horizont, an dem Himmel und Wiese zusammenwuchsen und auch nicht den Weg, den wir gekommen waren. Es war ein Gefängnis, auch wenn es größtmögliche Bewegungsfreiheit zuließ. Ich konnte erkennen, dass in dem Bett jemand lag, vollständig zugedeckt mit einem Tuch aus weißem Leinen.
„Okay, ich lass euch jetzt allein“, flüsterte Ranja und verschwand hinter mir plötzlich aus dem Bild. Ich drehte mich um, tastete unwillkürlich nach ihr, aber da war nichts mehr, außer weit und breit Wiese und der sternenübersäte Horizont.
Langsam ging ich auf das Bett zu. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Es war so ruhig, dass ich Angst hatte, Tim könnte mein Herz hören. Die Nacht kam mir viel wärmer vor als sonst, aber das lag wohl an meiner Aufregung. Tim. Ich konnte nicht glauben, dass er auf einmal vor mir lag, an diesem unwirklichen Ort, der noch unwirklicher war als alles, was ich bisher kennengelernt hatte. Mein Herz schlug immer wilder. Ich atmete tief durch, versuchte, mich zu beruhigen. Ich setzte mich behutsam auf die Bettkante und beugte mich vor, um Tim an der Schulter zu berühren. In dem Moment schreckte er hoch und schleuderte mich mit einem kräftigen Schlag vom Bett. Ich landete unsanft auf der Wiese, die sich trocken und weich anfühlte wie ein Teppich aus Wolle.
„Kira?“ Schon war Tim neben mir auf den Knien.
„Du bist es!“
Er strahlte mich an. Sein Gesicht war viel vertrauter, als ich es in Erinnerung hatte. Tim schlang die Arme um mich und drückte mich an sich. Jegliche Welt, ob sie nun real war oder nicht, versank um mich herum. Es war so ein gänzlich anderes Gefühl als mit Leo. Es war so … sicher, als würde ich nach Hause kommen. Eine Träne lief mir über die Wange. Ich konnte sie nicht zurückhalten.
„Tim. Du bist da“, flüsterte ich, als wenn es nicht schon offensichtlich wäre.
„Hast du dir weh getan? Sorry, ich dachte, es wäre jemand vom Rat.“
Wir sahen uns in die Augen, dann fielen wir uns wieder um den Hals. Es war so unfassbar. Eigentlich wäre es mit dieser bezaubernden Kulisse der schönste Traum gewesen, den man sich erträumen konnte, aber es war kein Traum. Tim schwebte in Gefahr und ihm war wahrscheinlich nicht klar, wie groß sie war.
Er zog mich auf das Bett und wir setzten uns nebeneinander.
„Naja, die Gefängniszellen sind hier jedenfalls recht hübsch.“ Tim grinste mich an. Dann umarmte er mich noch einmal überschwänglich, nahm meinen Kopf in beide Hände, so wie am Anfang, und küsste mich ganz sanft auf den Mund.
„Es ist so verrückt, aber ich wusste es …“
Ein dunkler Gedanke begann Oberhand gegen meine Euphorie zu gewinnen. Ich zog mein Gesicht aus Tims Händen.
„Aber, Luisa …“
Tim sah mich fragend an.
„Bist du mit ihr …“ Es fiel mir schwer, das Wort über die Lippen zu bringen: „ … zusammen?“
Tims Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
„Wie kommst du denn in aller Welt nur darauf?“
Ich fühlte mich, als würde ich mich von einem Gesteinsbrocken in eine Feder verwandeln.
„Du bist gar nicht mit ihr zusammen?“
„Warum sollte ich denn?“
Tim nahm meine Hand und streichelte sie.
„Ich … dachte … weil ich weg war … dass ihr … Ich weiß nicht … Es war so ein Gefühl …“ Tim verzog immer mehr das Gesicht, als redete ich im Fieber. Seine Miene verdüsterte sich etwas. Er wirkte enttäuscht.
„Aha, so denkst du also über mich …“
Er hörte auf, so unendlich sanft mit seinem Daumen über meinen Handrücken zu streichen.
„Oh, nein, nein, es ist nicht so, wie du denkst!“, beeilte ich mich zu sagen. Ich musste Tim aufklären.
„Ich habe eine Freundin hier. Sie ist ein Engel, also, kein richtiger, aber fast. Egal. Sie hat dich ausfindig gemacht. Sie ist dir gefolgt und dann war sie bei euch, bei Luisa zu Hause, bei dir und Luisa. Einen Abend. Sie sagte, ihr seid zusammen.“
So, jetzt war es raus.
„Ein Engel?“, versuchte er zu verstehen. Ich nickte. Tim zog die Augenbrauen zusammen.
„Warum erfindet sie so eine Lüge, wenn sie deine Freundin ist?“
Das war typisch Tim. Er rechtfertigte sich nie. Er traf gleich den Kern der Sache. In dem Moment war ich sicher, dass er niemals auch nur in Erwägung gezogen hatte, mit Luisa zusammen zu sein. Ich war so unendlich erleichtert.
„Weiß nicht, damit ich aufhöre, an dich zu denken und von hier weg zu wollen wahrscheinlich.“
Ich spürte leise Wut auf Neve. Schon wieder. Warum tat sie
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