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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe
Autoren: Daphne Unruh
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Klasse“, sagten wir wie im Chor, nur dass Tim „sie“ sagte.
     „Verstehe, die Verdächtigen haben sich vorher gut abgesprochen. Nicht nur bei der Wahl der Speisen.“ Jonny stellte unsere leeren Papierteller ineinander und warf sie zielsicher in den Müll. Er grinste vieldeutig. Ich hätte im Boden versinken können.
    „Und, kommst du mit?“, fragte Tim.
    „Jetzt?“ Ja, ich wollte mit in dieses Büro, auch wenn ich eigentlich auf dem Weg zum Arzt war. Aber das ließ sich auch nach hinten verschieben. Weiter mit Tim zusammensein dagegen nicht. Außerdem war ich ihm eine Erklärung schuldig. Ich musste ihm sagen, mit wem er es zu tun hatte und wollte gleichzeitig am liebsten darauf verzichten.
    „Wenn du nicht schon was Besseres vorhast … ich meine, ich dachte … du machst den Eindruck, als wenn dich das Thema interessiert …“
    Jetzt war Tim auf einmal verlegen. Mein Herz machte einen Sprung. Er war augenscheinlich verlegen wegen MIR? ICH hatte IHN verunsichert. Ich durfte darüber nicht weiter nachdenken, mich in nichts reinsteigern, dann war der Absturz in die Realität nur umso schlimmer.
    Ich stellte mich aufrecht vor ihn und sah ihm direkt in die Augen, während ich über mein plötzliches Selbstbewusstsein staunte:
    „Ja, das Thema interessiert mich. Der Konzernchef Gregor Wende von H2Optimal ist nämlich mein Vater… Wenn du jetzt immer noch willst, dass ich mitkomme, dann komme ich gerne mit.“
    Tim stand für einen Moment der Mund offen. Dann spielte ein kleines Lächeln des Verstehens um seine Lippen. Ich rechnete mit allen möglichen Reaktionen, aber Tim sagte einfach nur:
    „Na, dann!“ und setzte sich in Bewegung. Ich folgte ihm.
    Jonny nickte mir vielsagend hinterher. Ich verzog das Gesicht und hoffte, dass Tim davon nichts mitbekommen hatte.
     
    Wir liefen die Bernauer Straße entlang. Ich fühlte mich unsicher auf den Beinen. Ich sorgte mich, vor Aufregung das Gleichgewicht zu verlieren und Tim in die Seite zu fallen oder irgend so etwas Dämliches. Seit zwei Minuten herrschte peinliche Stille zwischen uns, durchsetzt mit einem unangenehmen Flirren, was dieses schwammige Gefühl in den Beinen zur Folge hatte. Ich wartete auf irgendwas in Bezug auf meinen Vater, hatte den Eindruck, er suchte nach den richtigen Worten, vielleicht auch beeinflusst durch meinen Ausbruch vor der Schule. Doch dann sagte er:
    „Mein Vater ist Truckfahrer.“ Ich nickte. Eine Welle von Zuneigung drohte mich zu überfluten. Aufgrund meines Geständnisses fiel Tim nichts Besseres ein, als mir den Beruf seines Vaters zu verraten. Das war… das war einfach mehr als in Ordnung. Ich musste irgendwas sagen.
    „Wohin fährt er denn?“
     „Europa, alles Mögliche. Er ist ein Aussteiger. Er hat eigentlich Philosophie studiert. Er macht das, weil er ein Einzelgänger ist und bei dem Job seine Ruhe hat. Dann kann er stundenlang Hörbücher hören.“
    „Warum seid ihr nach Berlin gekommen?“
    „Weil ihn die Stadt kulturell interessiert und mich auch.“
    „Wo wart ihr denn vorher … also, vor Regensburg und so?“
    „Milano.“
    „Italien ...“ Klar, er war ja halber Italiener.
    „Meine Mutter stammt daher.“
    Er sagte das mit einem seltsamen Unterton. Irgendwas war mit ihr. Sehr wahrscheinlich waren seine Eltern getrennt. Ich traute mich aber nicht zu fragen und nickte nur.
    „Sie ist in einer psychiatrischen Anstalt.“
    Ich schluckte. Er erzählte mir das einfach so, auf offener Straße. Ich fühlte mich geschmeichelt und gleichzeitig noch unsicherer, weil ich nicht wusste, wie ich darauf reagieren sollte.
    „Oh …“
    „… in Rom. Ich hab sie vor 15 Jahren das letzte Mal gesehen und kann mich überhaupt nicht an sie erinnern.“ Er lächelte mich an, um mir zu signalisieren, dass er keinen Trost brauchte. Wir bogen in eine kleine Seitenstraße ab.
    „Meine Mutter ist Model. Naja, war Model“, beeilte ich mich zu sagen.
    „Cool.“
    „Nein, das ist nicht cool, das ist einfach nur langweilig.“
    „Verstehe … Aber deinen Vater bewunderst du.“ Auf einmal kam er zur Sache und traf gleich ins Schwarze. Warum hatte er nur diese Art, mich so zu verunsichern?!
    „Ja, irgendwie schon, obwohl ich ihn oft zum Kotzen finde, sorry. Er ist ein furchtbarer Egoist, aber vielleicht muss man so sein, um Erfolg zu haben und eine gute Sache durchzuboxen.“
    „Gute Sache?“
    „Natürlich! Ich versteh überhaupt nicht, warum ihr ihn so angegriffen habt auf der Konferenz. Nur, damit ihr was
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