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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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Dingen kommen:
    „Übrigens total gut, dass du da bist. Ich hab ein Problem mit diesem Merkel-Interview. Wir haben es bekommen, aber …“
    Beate ging zu ihrem Computer. Tim bat mich um einen Moment und folgte ihr. Sie öffnete irgendein Textdokument. „Lies selbst …“ Während er sich neben sie bückte und las, legte sie ihren Arm auf seine Schulter. Tim war ganz in den Text versunken: „ Das ist ja unglaublich ...“ fluchte er und scrollte durch das Dokument. Beate fing an, ihn an der Schulter zu kraulen. Sie waren ein schönes Paar. Ich fühlte mich zum Kotzen. Hatte er mich etwa hierher mitgenommen, um mir DAS zu zeigen? Mein Dreitagefieber war gegen das beschissene Gefühl, dass ich jetzt hatte, gar nichts gewesen. Ich musste sofort raus hier.
    Ich machte auf dem Absatz kehrt, verließ den Laden und rannte die Straße in die entgegengesetzte Richtung hinunter, falls Tim auf die Idee kommen würde, mir zu folgen. Ein paar Häuser weiter schloss eine Frau gerade die Haustür auf. Ich schlüpfte hinter ihr in den Hausflur und war froh, als die Tür ins Schloss fiel.
     
    Es war ein Haus mit zwei Hinterhöfen. Ganz hinten gab es nur Garagen. Dort hockte ich mich in eine Ecke und versuchte, meine Tränen zu unterdrücken. Ich war die dümmste Idiotin, die es auf dieser Welt gab. Okay, ich hielt Tim nicht mehr für einen aufgeblasenen Schönling. Er hatte mich mit seiner Art tief beeindruckt. Er war souverän, er verhielt sich – ganz im Gegensatz zu mir – ziemlich reif. Aber das machte es nur noch schlimmer. Er war nicht nur zu schön, sondern auch zu reif, zu erwachsen und zu klug für mich. Und er hatte eine ebenso schöne, erwachsene und kluge Freundin, auch wenn ich sie nicht für besonders reif hielt. Das gestand ich mir immerhin zu.
    Ich wischte mir ein paar Tränen von den Wangen und versuchte, mich von außen zu sehen, wie ich wie ein Häufchen Elend in einer Garagenhofecke saß. Worte meines Vaters kamen mir in den Sinn: Selbstmitleid ist der Anfang jedes Untergangs. Gleichzeitig ein Psychotip von Luisa: Manche Menschen beeindrucken einen deshalb so tief, weil man von ihnen etwas lernen muss. Man muss nur begreifen, was. Dann kann man sie loslassen.
    Ich wollte zwei Dinge NICHT: ich wollte nicht im Selbstmitleid ertrinken und ich wollte nicht als Dummes Huhn dastehen.
    Ich fasste einen Entschluss. Morgen würde ich Tim in der Schule begegnen und bis dahin wollte ich mindestens genauso gut wissen, worüber ich redete wie er, egal, ob wir uns überhaupt noch einmal unterhalten würden oder nicht.
    ***
    Ich rappelte mich hoch. Es war genug Zeit verstrichen, so dass Tim mich nicht mehr in der Gegend vermuten dürfte. Trotzdem warf ich einige vorsichtige Blicke nach links und rechts, als ich wieder auf der Straße stand. Eine mächtige Welle neuer Energie und Entschlossenheit durchströmte mich und ich begann zu laufen. Es tat unheimlich gut, ich ignorierte die U-Bahnstation. Ich lief über das kaputte Straßenpflaster dieser Gegend, vorbei an pleite gegangenen Läden, bis die Friedrichstraße immer moderner, belebter und futuristischer wurde. Die schwarzen Limousinen häuften sich. Touristen verstopften die Straße Unter den Linden. Feine Leute bewegten sich durch die schwere Drehtür des Grandhotels. Dann tauchte das protzige Gebäude hochmoderner Architektur, in dessen oberen Etagen H2Optimal residierte, vor mir auf. Ich verlangsamte den Schritt und staunte, wie wenig ich vom Rennen durch die halbe Stadt außer Atem war.
     
    Der Sicherheitsdienst am Empfang im Erdgeschoss, eine wie aus dem Ei gepellte Chinesin hinter einem durch und durch verchromten Tresen, musterte mich misstrauisch. Als ich meinen Namen sagte und nach meinem Vater verlangte, musterte sie mich noch einmal, schien mir aber zu glauben. Sie rief die Vorzimmerdame von Gregor an. Mein Vater war in einer Besprechung, aber ich könnte gern schon mal hochkommen. Die Chinesin öffnete mir mit einer Chipkarte den Fahrstuhl und wählte das Penthouse. Ein rundum verspiegelter Fahrstuhl brachte mich in Windeseile und völlig geräuschlos nach oben.
    Die Räumlichkeiten von H2Optimal beeindruckten mich immer wieder. Man fühlte sich wie in einem riesigen Aquarium, durch das sich bei schönem Wetter tausendfach die Sonnenstrahlen brachen. Die Wände in der Empfangshalle waren zu einem großen Teil aus doppelwandigem Glas, zwischen dem sich eingeschlossenes Wasser bewegte und immer neue Muster bildete. Die Decke wurde von mit Wasser gefüllten

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