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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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kletterte ich in das Boot, das bedenklich schwankte, und machte die Leine los. Dann begann ich ungeschickt auf den See hinaus zu paddeln. Ich suchte das andere Ufer nach Atropa ab. Zuerst glaubte ich, sie zu sehen. Aber es war nur der Schatten eines zerklüfteten Felsen.
    „Atropa, nur damit du’s weißt, ich hasse Wasser“, rief ich und paddelte schneller. Ich wollte den See hinter mich bringen. Das dunkle Grün unter mir wurde heller und heller, und als ich mehr aus Versehen einen Blick hinunter riskierte, erschrak ich darüber, wie tief und wie klar der See war. Auf seinem Grund schimmerte er hellblau, als würden sich Wolken darin spiegeln. Das erinnerte mich an den Traum, in dem ich mit Tim in einem der Türme geschwommen war und sechzig Meter in die Tiefe geblickt hatte. Nur dass es in dieser Höhle hier keinen Himmel gab, der sich im Wasser spiegeln konnte.
    „Atropa?“ Es kam keine Antwort. Nur das Titschen des Paddels hallte unheimlich von den Höhlenwänden zurück.
    „Atropa?!“
    Ich hörte auf zu paddeln und lauschte. Nichts. Wenn sie in dem Haus war, musste sie mich jetzt hören. Oder schlief sie? Schließlich war es mitten in der Nacht.
    Auf einmal kam Bewegung ins Wasser. Zuerst war es nur ein leichtes Kräuseln an der Oberfläche. Irgendetwas glitt unter mir dahin.
    Ich wollte nicht wissen, was es war. Ich richtete meinen Blick starr auf das kleine Waschbetonhäuschen auf der anderen Seite. Die Hälfte hatte ich hinter mir. Der Weg zurück war jetzt genauso weit wie der Weg nach vorn. Also paddelte ich.
    Dann stieß ich mit dem Paddel auf etwas Festes und bekam es nicht mehr los. Ich klammerte mich verzweifelt an das Paddel, versuchte, es loszureißen. Wenn es mir nicht gelang, würde ich mit meinen Händen paddeln müssen, und mir graute davor, sie in dieses Wasser zu tauchen.
    Es gab einen Ruck und das Paddel war weg.
    „Atropa!!!“, schrie ich. Ich schaukelte hilflos auf dem Wasser und starrte entsetzt auf die Stelle, wo das Paddel verschwunden war. Meine Hände krallten sich in den Rand des Bootes.
    Wellen kamen auf. Sanft erst, dann stärker. Ich hatte einmal gelesen, dass man ein Boot immer senkrecht zu den Wellen stellen sollte. Aber ich hatte kein Paddel mehr.
    Die nächste Welle war höher als der Rand meines Bootes. Ich spürte, wie es seitlich kippte, wie das Wasser hineinlief, mein Rucksack wurde weggespült und verschwand in den Tiefen. Entsetzt sah ich ihm nach.
    Es gab kein Halten. Ich fiel direkt in einen Trichter aus Wasser, der sich unter mir auftat. Die Wellen schlugen über mir zusammen.
    Ich sank nicht. Ich wurde mit ungeheurer Macht hinab gezogen. Alles war schwarz. Ich bekam keine Luft. Mein Körper wurde zusammen gedrückt. So sah sie also aus, die Stunde meines Todes. Ich würde sterben, im Wasser, wovor ich schon immer am meisten Angst gehabt hatte. Jetzt.
     
     

Teil II
    Ich wirbelte durch einen Tunnel, an dessen Ende mir ein sehr warmes und helles Licht entgegen strahlte. Ich fühlte kein Wasser mehr um mich. Es schien fort zu sein, ich war so dankbar! Allerdings spürte ich meinen Körper ebenfalls nicht. In meinen Ohren klang eine unbeschreiblich süße Melodie. Oh je, so hatte Luisa Nahtoderfahrungen im Ethikunterricht beschrieben. Das hieß, ich war am Sterben. Meine Seele schwebte gerade in das Licht da vorne, während mein Körper auf den Grund des Sees gezogen wurde. Wilde Panik ergriff mich. Ich wollte nicht sterben! Panik? Von Angst hatte Luisa allerdings nichts gesagt. Leute, die dem Tod sehr nahe waren, fühlten sich rundum wohl und wollten nicht mehr zurück. Nur eine verschwindend geringe Prozentzahl machte Höllenerlebnisse durch. Gehörte ich etwa dazu? Das warme Licht raste heran. Ich wollte zurück und zwar sofort! Ich versuchte umzukehren, mit Armen und Beinen zu rudern, die ich nicht hatte, zu schreien, wollte auf keinen Fall in die Hölle. Aber ich hatte keine Chance. Das Licht erfasste mich. Ich musste kräftig niesen und riss dabei die Augen auf. Oh Gott! Das war ein sehr irdisches Gefühl. Ich spürte meinen Körper. Ich steckte drin. Ich war noch DA. Ich lag irgendwo herum. Und fragte mich im gleichen Moment, wo??
    Die Sonne schien wohlig warm und leuchtend durch ein Blätterdach auf mich herab. Allerdings war das Blätterdach weiß und auch alles um mich herum sah aus wie eine glitzernde Schneelandschaft. Wie kam ich hierher, nachdem ich durch einen Abwasserkanal gestolpert und in einem unterirdischen See ertrunken war? War ich doch im

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