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Himmlische Juwelen

Himmlische Juwelen

Titel: Himmlische Juwelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Fingerspitzen sein rechtes Hosenbein
hoch und ging vor der ersten Truhe in die Knie. Er fasste das Siegel, schnitt
es von den Schnüren los und gab es Caterina, die es vorsichtig auf dem Tisch
deponierte. Dann probierte er methodisch die Schlüssel durch, schob sie einen
nach dem andern ins Schloss und prüfte, ob sie passten. Einige ließen sich ein
wenig bewegen, aber erst einer der letzten machte unter hartem Knirschen eine
zweimalige Umdrehung nach rechts. Dottor Moretti zog den Schlüssel wieder
heraus und drückte gegen den Deckel; er musste etwas ruckeln, ehe es ihm
gelang, ihn ein paar Zentimeter anzuheben, worauf er ihn sofort wieder zufallen
ließ und sich der anderen Truhe zuwandte.
    Auch hier war ein Zettel an die Vorderseite genagelt, dieser
unbeschädigt: »Steffani. 1728«. Kein Siegel an den
Knoten. Wieder durchtrennte Dottor Moretti die Schnüre und ließ die Enden auf
den Boden fallen. Diesmal passte schon der dritte oder vierte Schlüssel, aber
der Deckel klemmte. Kaum war es Moretti nach langem Probieren gelungen, den
Druck der Eisenbänder zu lockern, da klappte er den Deckel schon wieder zu,
erhob sich, öffnete seine Aktentasche und verstaute Taschenmesser und
Schlüsselbund.
    »Die Schlüssel gehören doch uns, oder?«, beharrte Signor Scapinelli.
Es war eine Feststellung, keine Frage.
    »I’m expecting a judgement«, erklärte
Dottor Moretti zu Caterina gewandt. Dann sagte er auf Italienisch: »Die
Schlüssel sind von meinem Freund, der sie gern wiederhaben möchte.« Er lächelte
Signor Scapinelli an und bemerkte [83]  leutselig: »Wenn Sie und Ihr Cousin die
haben wollen, kann ich ihn fragen, wie viel er dafür verlangt.« Da die beiden
darauf nicht reagierten, wandte er sich an Signor Stievani: »Was meinen Sie
dazu?«
    »Das soll ja wohl ein Scherz sein, avvocato «,
sagte Stievani. »Lassen Sie die Truhen offen, und geben Sie die Schlüssel
zurück.« Stievani zeigte auf die Metalltür. »Wer die knacken kann, dürfte mit
diesen Schlössern auch keine Schwierigkeiten haben.« Er mochte ein
Steuerhinterzieher sein, ein Dummkopf war er nicht, dachte Caterina.
    Sie sah auf die Uhr: Kurz vor eins. »Signori«, sagte sie, zu den Herren und Roseanna gewandt. »Ich denke, wir sollten einige
Verfahrensfragen klären. Sie haben zugestimmt, dass die Truhen unverschlossen
bleiben können. Aber wie Sie bemerkt haben werden, kann ich sie nicht allein in
den Tresor zurückstellen.«
    Sie ließ das wirken und verzichtete darauf, einen eigenen Vorschlag
zu machen. Lieber wollte sie den anderen beipflichten, solange deren Vorschlag
ihren eigenen Absichten entgegenkam.
    Sie warf einen Blick in die Runde. Roseanna verfolgte dieselbe
Taktik und schüttelte den Kopf. Dottor Moretti in seiner Rolle als Anwalt hielt
sich mit seiner Meinung ebenfalls zurück; beide Cousins wiederum zögerten, mit
einem Vorschlag herauszurücken, wohl weil sie fürchteten – oder sicher waren –,
dass der andere ihn sofort torpedieren würde. Schließlich sagte Stievani: »Die
Truhen müssen über Nacht im Tresor eingeschlossen sein.« Statt seinen Cousin
anzusehen, sah er die andern an. Da niemand widersprach, fuhr er fort: »Als Erstes
sollte sie nachsehen, ob wirklich nur [84]  Papiere drin sind. Dann stellen wir
die Truhen in den Tresor zurück, und jeden Tag, wenn sie mit der Arbeit fertig
ist, verstaut sie die Unterlagen wieder, schließt den Tresor ab und dann auch
noch die Zimmertür.«
    »Und die Schlüssel?«, fragte Signor Scapinelli.
    »Die behält sie. Sonst müssten wir jemanden bestimmen, dem sie jeden
Tag ausgehändigt werden.« Sein Cousin schien protestieren zu wollen, doch
Stievani fuhr ungerührt fort: »Und denjenigen müssten wir bezahlen.« Das
erstickte jeden Widerspruch im Keim.
    Nun schaltete sich Dottor Moretti ein: »Das klingt vernünftig. Hat
jemand etwas einzuwenden?« Als kein Einspruch kam, richtete er das Wort direkt
an Caterina: »Sie, Dottoressa?«
    »Nein.«
    Roseanna hielt ihren Schlüsselbund hoch und sah die drei Männer
fragend an. Da niemand widersprach, deponierte sie die drei Tresorschlüssel,
den Schlüssel zum Treppenhaus und den Schlüssel zum Büro des Direktors auf dem
Tisch. Caterina dankte mit einem höflichen Nicken.
    Dottor Moretti nutzte das Schweigen, das in diesem feierlichen
Moment eingetreten war, wies auf die Truhen und erklärte: »Um endlich
Aufschluss zu erhalten, welcher Gestalt der Nachlass ist, schlage ich vor, dass
wir Dottoressa Pellegrini bitten, die

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