Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmlische Juwelen

Himmlische Juwelen

Titel: Himmlische Juwelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
Dottor Moretti musste die Zeichen ebenso gedeutet haben; denn
auch er sah auf die Uhr und meinte: »Ich hoffe, wir sind uns damit in allen
wichtigen Punkten einig.«
    Die anderen vier nickten.
    »Dann sollten wir jetzt vielleicht nach oben gehen, um uns
Aufschluss über den Inhalt der Truhen zu verschaffen.«
    Caterina war ganz aufgeregt, obwohl sie seit ihrer Rückkehr nach
Venedig auf nichts anderes hingearbeitet hatte. Nun war es plötzlich so weit.
Die Truhen sollten geöffnet werden, und sie würde die Papiere – falls es denn
welche gab – in Händen halten und überrascht, ach so überrascht feststellen,
dass es sich um Originalunterlagen von Agostino Steffani, Komponist und
Bischof, Musiker und Diplomat, handelte.
    Man erhob sich. An der Tür achteten die Cousins sorgfältig darauf,
dass Dottor Moretti sie voneinander trennte: Stievani überquerte als Erster die
Schwelle, dann der Anwalt, dann Signor Scapinelli. Frauen und Kinder zuletzt.
    Dottor Moretti ging Richtung Treppe voran, machte aber vor der Tür
ins Treppenhaus halt und ließ Roseanna vor. Sie [80]  schloss die Tür auf, ließ
die Männer in bewährter Reihenfolge an sich vorbei und folgte ihnen zusammen
mit Caterina die Treppe hinauf. Die Prozedur wiederholte sich an der Tür zum
Büro des Direktors.
    Drinnen machte sich Roseanna sogleich an den Schlössern des Tresors
zu schaffen – es gab noch ein drittes, knapp über dem Fußboden, das Caterina
bislang nicht bemerkt hatte. Roseanna öffnete umstandslos die Metalltür und gab
den Blick auf die zwei Truhen frei: In dem schrankgroßen Tresor standen sie
hintereinander, die hintere etwa zwanzig Zentimeter höher als die vordere.
Caterina hatte in Antiquitätenläden und Museen schon Dutzende solcher Truhen
gesehen: schmuckloses dunkles Holz, Boden und Deckel mit Metallbändern
umspannt, in denen ein robuster Schließmechanismus verankert war. Die Schlüssel
zu den Schlüssellöchern fehlten.
    Signor Stievani, der kräftigere der beiden Cousins, zog Dottor
Moretti am Arm: »Heben wir sie raus, fassen Sie da drüben mit an.« Er bückte
sich über die kleinere Truhe und packte einen der Griffe.
    Dottor Moretti war sichtlich überrumpelt: Wie kam der andere dazu,
so mit ihm zu reden? Und wie käme er dazu, ihm beim Schleppen der Truhe zu
helfen? Doch er fing sich sofort wieder, stellte seine Aktentasche ab und
packte mit an. Allzu schwer schien die Truhe nicht zu sein, so mühelos, wie die
beiden sie neben dem Schreibtisch absetzten. Dann holten sie die zweite Truhe,
die offenbar wesentlich schwerer war, und stellten sie einen Meter von der
ersten auf den Boden.
    Da waren sie also: die beiden Truhen mit dem [81]  umkämpften Nachlass
des Musikers, dessen Namen sie noch gar nicht wissen durfte. Beide waren mit
einem gewachsten Seil verschnürt, das einmal über die Vorder- und Rückseite,
einmal von oben über die Seiten lief und in komplizierten Knoten endete. An der
kleineren Truhe klebten noch die Reste eines großen roten Wachssiegels. Das
Wachs war allerdings so abgeschabt, dass man das Siegel nicht mehr erkennen
konnte. An der Vorderseite dieser Truhe war mit vier Nägeln ein vergilbter
Zettel befestigt. Unten links war eine Ecke abgerissen. Kaum lesbar, in
verblasster brauner Tinte, entzifferte Caterina die krakelige alte Handschrift: »– fani 1728«.
    Bevor Caterina sich erkundigen konnte, wie es nun weitergehen solle,
fragte Signor Scapinelli: »Und wie öffnen wir sie?«
    Zur Verblüffung aller Anwesenden klappte Dottor Moretti seine
Aktentasche auf und entnahm ihr ein Taschenmesser und einen Schlüsselbund. Die
Schlüssel wirkten sehr alt, einige waren rostig, andere glänzten, aber alle
hatten einen gesägten Bart und waren handgeschmiedet.
    Dottor Moretti kam allen Fragen zuvor: »Ich habe einem befreundeten
Antiquitätenhändler ein Foto der beiden Schlösser gezeigt. Er meint, hier sei
sicher etwas Passendes dabei.« Caterina empfand dieses unanwaltliche Verhalten
Dottor Morettis als sehr wohltuend. Konnte es sein, dass auch er an dieser
Reise in die Vergangenheit seine Freude hatte?
    »Für beide Schlösser?«, fragte Scapinelli.
    »Er nimmt es an, und ich hoffe es«, antwortete Dottor Moretti.
    Caterina und Roseanna tauschten einen beifälligen Blick, Signor
Scapinelli hingegen räusperte sich vernehmlich. Ob [82]  er erwartet hätte, dass
sich Dottor Moretti bereits vorher Gewissheit verschaffte, welche Schlüssel die
richtigen seien?
    Dottor Moretti zupfte mit den

Weitere Kostenlose Bücher