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Himmlische Juwelen

Himmlische Juwelen

Titel: Himmlische Juwelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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irgendeine Weise begünstigt haben.« Er legte
einen Schein auf den Tresen und hob die Hände, als wehre er den Teufel
persönlich ab. »Das brächte Schande über meine Vorfahren.«
    Sie stupste ihn sachte an. »Das hatte ich schon fast vergessen.«
    [111]  »Was?«
    »Was für ein Kindskopf du bist.«
    Er hörte die Zuneigung heraus und lachte.
    Kurz vor neun kam Caterina in ihre Wohnung zurück. Nach den
Cashews hatte sie keinen großen Hunger mehr und wollte erst ein wenig lesen,
bevor sie sich etwas zu essen machte.
    Sie nahm die beiden Bücher aus ihrer Tasche und legte sich damit
aufs Sofa – ein blasses Teil mit grobem, haferschleimfarbenem Bezug, das wie
die Tische, Regale, Lampen, Vorhänge und Stühle stumm »Ikea« schrie. Aber
wenigstens war es bequem, sofern man sich der Länge nach darauf ausstreckte und
an das nicht minder fade Seitenpolster lehnte.
    Sie betrachtete das Porträt auf dem Schutzumschlag des ersten Buchs
näher: Steffani im Ornat des Weihbischofs von Münster, was immer das bedeutet
haben mochte. Sein volles Gesicht – ob auch sein Körper so rundlich war,
erkannte man nicht unter dem weiten Gewand – wirkte unsagbar traurig. Dicke
Nase und Doppelkinn: Jener Mann, der das Komponieren aufgegeben hatte, sah dem
Betrachter in die Augen; seine schlanken Finger berührten ein juwelenbesetztes
Kreuz, das er an einer schweren Kette um den Hals trug. Das Scheitelkäppchen,
unter dem ein kurzer Haarkranz hervorsah, verbarg eine kahle Stelle. Kein gutes
Bild: Im Museum würde sie daran vorbeigehen, ohne nachzusehen, von wem es war
und wen es darstellte; in einer Verkaufsgalerie wäre es keinen zweiten Blick
wert. Ihre Beschäftigung mit dem Porträtierten aber machte das Bild
interessant, weil sie daraus etwas über ihn herauszulesen hoffte.
    [112]  Sie schlug das Buch auf. Zur Familiengeschichte stand nichts
Besonderes darin, nichts, was sie nicht schon gelesen hätte über seine
musikalischen Anfänge in Padua und Venedig. Erneut ging es um seine verzögerte
Rückkehr aus Venedig, hier aber wurde eine Erklärung genannt: Er sei von einer
bedeutenden Persönlichkeit zum Vorsingen eingeladen worden, möglichst diskret.
    Caterina galt nicht nur als die kluge Tochter, sondern auch als die
kalte Zynikerin, doch dafür brauchte es nicht viel in einer so hochanständigen,
heiteren Familie. Dass ein junger Heranwachsender in Venedig geblieben war, um
auf Wunsch einer Respektsperson, womöglich eines Adligen, auf jeden Fall eines »soggetto riguardevole«, vorzusingen, verleitete sie zu
Hintergedanken, auf die ein Durchschnittsbürger angesichts der Beziehung eines
Knaben zu einem älteren Mann vielleicht nicht gekommen wäre. Sie betrachtete
noch einmal den Buchumschlag. Fast fünfzig Jahre lagen zwischen Steffanis
verlängertem Venedigaufenthalt und der Entstehung dieses Porträts. Kaum
vorstellbar, dass dieser aufgedunsene Geistliche einmal ein kleiner Junge mit
einer schönen Stimme gewesen sein sollte.
    Sie las weiter. Mit dreizehn kam Steffani auf Einladung des
Kurfürsten von Bayern, Ferdinand Maria, der ihn singen gehört hatte, an den Hof
nach München. Caterina nickte wissend, während sie die Namen und Titel der
Leute durchging, die er dort kennenlernte, der Musiker, mit denen er arbeitete.
War es nicht Zeit für etwas zu essen, einen Kaffee, ein Glas Wein? Die Liste
der Namen und Orte ging weiter, und dann stieß sie auf eine Passage aus einem
Brief, den Steffani sehr viel später verfasst hatte und worin er seine [113]  Begegnung
mit dem Kurfürsten schilderte, der »in mir etwas Anziehendes erblickt haben
mochte – zu welchem Ende, weiß ich nicht –, mich sogleich zu sich nach München
holte und in die Obhut seines obersten Stallmeisters, des Grafen Tattenbach,
gab«.
     »Wie bitte?«, hörte Caterina
sich sagen. Sie las die Stelle noch einmal. »…etwas Anziehendes erblickt haben
mochte – zu welchem Ende, weiß ich nicht…«
    Sie legte das Buch hin, ging in die kleine Küche, nahm eine Flasche
Wein aus dem Kühlschrank und schenkte sich ein Glas ein. Sie hob das Glas,
brachte einen Toast aus auf Steffani, oder vielleicht auch nur auf ihre eigene
blühende Phantasie, und trank einen Schluck.
    Die Küche hatte ein kleines Fenster, durch das man über die Gasse
hinweg in die Küche der Familie gegenüber sehen konnte. Sie löschte das Licht
im Wohnzimmer und beobachtete, nun unsichtbar, was sich dort abspielte.
    Da waren sie: Mama Bär, Papa Bär und ihre zwei Kleinen,

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