Himmlische Juwelen
Gazzettino neben
sich ausgebreitet, und nippte an einem Glas Weißwein. Links neben der Zeitung
stand ein Spritz, genau im richtigen Orange.
Er hörte sie eintreten, blickte auf und lächelte. Er legte die
Zeitung zusammen und schob sie weg. »Ich halte dich doch nicht von der Arbeit
ab?«, fragte er. Caterina musste [221] sich erst an diesen anderen Moretti
gewöhnen. Gesicht und Größe waren vertraut, die Goldrandbrille und die
blitzblanken Schuhe auch. Doch er trug eine helle Tweedjacke. Dazu ein weißes
Hemd und natürlich eine Krawatte. Kein Anzug. War das ein Kompliment oder eine
Kränkung?
»Nein, überhaupt nicht. Ich musste nur noch eine Mail abschicken.«
Sie wies auf die Zeitung. »Gibt’s was Neues? Ich habe seit Tagen keine Zeitung
mehr gelesen.«
»Immer dasselbe. Eifersüchtiger Ehemann tötet Frau, Nordkorea droht
dem Süden, Politiker von Bauunternehmer bestochen, Frau wird mit zweiundsechzig
Mutter.«
Andrea, dem dies nicht der richtige Einstieg in den Abend zu sein
schien, reichte ihr den Spritz und stieß mit ihr an. »Cin
cin.«
»Hört sich an, als sollte ich besser im achtzehnten Jahrhundert
bleiben«, sagte sie und nahm einen Schluck. Das war perfekt: der Spritz scharf
und süß zugleich, und einer der ersten Tage, an denen man etwas Kaltes mochte.
»Immer noch am Herumschnüffeln?«, fragte er beiläufig, wie eine
freundliche Erkundigung.
»Damit habe ich aufgehört«, sagte sie. Angesichts seiner leicht überraschten
Miene ergänzte sie: »Jedenfalls stecke ich meine Nase nicht länger in Dinge,
die mich nichts angehen.«
Er sah sie lange an, als versuche er aus ihrer Antwort schlau zu
werden: »Das ist das erste Mal, dass ich das von einer Frau höre.« Sein Lächeln
und der Blick, der dem vorausging, nahmen der Bemerkung jede Spitze.
»Ha-ha-ha«, sagte sie wie eine Comicfigur und lachte dann
freiheraus, womit es ihr gelang, auf seine Worte zugleich missbilligend und
belustigt zu reagieren.
[222] »Wonach suchst du nicht länger?«, fragte er und nahm noch einen
Schluck. Bevor sie antworten konnte, bat er den Barmann um Erdnüsse. »Ich hatte
heute kein Mittagessen«, erklärte er.
Caterina wollte schon fragen, warum, aber er kam ihr zuvor:
»Besprechung«, sagte er. »Erzähl mir, worein du nicht länger deine Nase
steckst.«
Da er neugierig schien, erzählte sie ihm von der Königsmarck-Affäre.
Als Anwalt an komplizierte Geschichten gewöhnt, hatte er keine Schwierigkeiten,
die vielen Namen auseinanderzuhalten. Kaum erwähnte sie die Memoiren der Gräfin
von Platen, fragte er nach, ob dies Königsmarcks frühere Geliebte gewesen sei,
und Caterina konnte nur staunen, wie konzentriert er ihr zuhörte.
Ehe sie weiterreden konnte, meinte er: »Eine unglaubwürdige Zeugin.«
Er beobachtete ihre Reaktion und ergänzte: »Aus juristischer Sicht meine ich,
rein theoretisch.«
»Warum?«, fragte sie, obwohl es auf der Hand lag. Sie wollte wissen,
ob er als Anwalt noch andere Gründe für dieses Urteil hatte, als sie ihr
einfielen.
»Zunächst einmal natürlich, weil sie negativ gegen ihn eingenommen
sein dürfte, insbesondere falls er es war, der das Verhältnis beendet hat. Dann
würde sie ihn kaum in ein positives Licht stellen.«
»Um das mindeste zu sagen«, stimmte sie zu. »Warum noch?«
»Weil sie womöglich den wahren Mörder decken möchte.«
»Nur weil das Opfer mit ihr Schluss gemacht hat?«, fragte Caterina
verblüfft.
»Deine Bestürzung gereicht dir zur Ehre, Dottoressa«, [223] sagte er,
prostete ihr zu und trank aus. Er stellte das Glas auf den Tresen und fuhr
fort: »Ja, allerdings, weil das Opfer die Affäre beendet hat.« Er kam ihrem
Protest zuvor: »Ich befasse mich nicht mit Strafrecht, aber von Kollegen, die
das tun, habe ich in dieser Beziehung schon die haarsträubendsten Dinge
gehört.«
Sie sah ihn aufmerksam an.
»Bestimmt hast du in der Zeitung schon mal den Ausdruck ›motivi futili‹ gelesen«, sagte er. »Von meinen Freunden
kenne ich zahllose Fälle, in denen Leute aus nichtigen Motiven getötet wurden:
Jemand blockiert einen Parkplatz, jemand will keine Zigarette herausrücken,
einer hört zu laut Radio oder Fernsehen, ein anderer verursacht einen kleinen
Blechschaden.« Er winkte nach der Rechnung.
»Dass eine Frau sich nicht näher auslässt über die Ermordung des
Mannes, der sie verlassen hat, besonders wenn er dabei nicht allzu taktvoll
war… Also, ich finde das nachvollziehbar. Ebenso, dass ihr daran liegen könnte,
den
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