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Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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immer verlockend, gegen Gesetze zu verstoßen, wenn man am nächsten Tag sowieso weiterzieht und niemandem Rechenschaft schuldet. Das ist auch der Grund, weshalb ich die Flussleute nicht mag: Sie tragen nichts zum Gemeinschaftsleben bei, weil sie sich von der Gesellschaft losgesagt haben. Aus dem gleichen Grund verabscheue ich den niqab – Ihnen kann ich das ja verraten, père, weil Sie dem Bischof nichts weitersagen. Ich verabscheue den niqab, weil er der Frau, die ihn trägt, erlaubt, die Verbindung zu ihren Mitmenschen zu kappen und selbst die noch so kleinen Berührungspunkte zwischen den Kulturen zu missachten.
    Ein Lächeln, ein schlichter Gruß, père – haben Sie schon einmal versucht, eine Frau mit niqab zu grüßen? Selbst diese Möglichkeit bleibt uns verwehrt. Ich habe mich so sehr um Fingerspitzengefühl bemüht. Mir war es wichtig, ihrem Glauben Respekt zu zollen. Aber im Koran steht nichts davon, dass Frauen ihr Gesicht verstecken sollen. Nein, père. Sie haben sich dafür entschieden, uns zurückzuweisen. Unsere Bemühungen um Verständnis werden nicht erwidert.
    Schauen Sie sich Inès Bencharki an. Ich wollte doch nur, dass sie sich hier wohl fühlt. Und was ist passiert? Na schön, jetzt kann sich Père Henri um sie kümmern. Soll er da weitermachen, wo ich gescheitert bin. Ich bin froh, wenn ich nichts mehr mit ihr zu tun habe.
    Das alles ging mir durch den Kopf, während ich beobachtete, wie die letzten Nachzügler in der Moschee verschwanden. Die Straßen waren nun wie leergefegt, ich hätte unbehelligt verschwinden können. Doch ich ging in Richtung Anlegestelle.
    Ich weiß, père, das war dumm von mir. Ich konnte gehen, ohne mich von meinen Freunden zu verabschieden. Ich konnte gehen, ohne den Bischof zu informieren. Aber ich schaffte es nicht zu gehen, ohne bei ihr vorbeizuschauen – bei einer Frau, die mir seit ihrer Ankunft nicht einmal ihr Gesicht gezeigt, geschweige denn mit mir gesprochen hat, wenn es nicht absolut unumgänglich war. Weshalb fühle ich mich so zu ihr hingezogen? Sonia hat gesagt, sie ist eine Hexe. Ich habe entgegnet: Hexen gibt es nicht. Aber das ist gelogen, père. Ich habe schon Hexen gekannt.
    Ich näherte mich dem Hausboot. Der Regen hatte sich in feinen Sprühnebel verwandelt, und aus dem Schornstein stieg ein dünner Rauchfaden auf. Wenn sie mir erlaubt hätte, bei der Renovierung zu helfen, könnte sie schon längst wieder in ihrem Haus wohnen. Aber sie hat mich hinausgeworfen wie einen gemeinen Dieb. Vielleicht hat sie sogar diese Männer von neulich auf mich angesetzt. Was haben sie noch mal gesagt? Das ist ein Krieg. Halt dich da raus.
    Aber jetzt weiß ich immerhin, wer das Feuer gelegt hat. Endlich kann ich meinen Namen reinwaschen. Nur ein Wort zum Bischof, und ich werde wieder in mein Amt eingesetzt. Père Henri Lemaître und Caro Clairmont werden gezwungen sein, alles zurückzunehmen. Ganz Lansquenet erfährt, dass man mich fälschlich beschuldigt hat.
    Aber das würde bedeuten, das Vertrauen eines anderen Menschen zu missbrauchen. Sonia Bencharki hat mir gebeichtet. Nicht offiziell natürlich. Aber eine Beichte war es trotzdem, und die Beichte ist ein Sakrament. Selbst wenn ich mit Inès reden könnte, dürfte ich ihr nicht die Wahrheit sagen. Also sollte ich lieber gehen und das bisschen Stolz, das mir noch geblieben ist, mitnehmen. Am besten gehe ich jetzt sofort. Andererseits …
    Dieses Hausboot, wie ein Sarg, der am Ufer vertäut ist. Die Frau hinter ihrem Schleier, wie das dunkle Gitter des Beichtstuhls. Was will ich von ihr hören? Oder bin ich etwa derjenige, der beichten muss?
    Ich ging näher heran. Die Wasseroberfläche des Tannes wurde von Regentropfen durchsiebt. Die Silhouette des schwarzen Boots leuchtete im grünlichen Morgenlicht. Ich muss lange dort gestanden haben. Ich weiß noch, dass ich irgendwann hörte, wie die Gläubigen aus der Moschee kamen und sich auf den Heimweg machten.
    Nichts rührte sich im Hausboot. Und trotzdem wusste ich, dass sie da ist. Ich warf einen kleinen Stein aufs Deck, wo er zweimal aufschlug, bevor er liegen blieb.
    Stille. Dann öffnete sich eine Tür. Die Frau kam heraus. Sie konnte mich nicht sehen, das wusste ich. Sie blinzelte und wirkte überhaupt nicht erschreckt, eher so, als würde sie jemanden erwarten.
    Vielleicht Karim Bencharki? Na ja, das ging mich nichts an. Trotzdem gab ich meinen Beobachtungsposten zwischen den Bäumen nicht auf. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, war aber gleichzeitig

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